Leben mit Lust und Liebe - Zum Tode von Willi Sitte

18.09.2013 17:27

Willi Sitte - Urlauber mit Zeitung

Am 8. Juni diesen Jahres verstarb 92-jährig Willi Sitte, eine der bemerkenswertesten Künstlerpersönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Hinterlassen hat er der Welt ein umfangreiches künstlerisches Werk, das sich zum einen bekenntnishaft mit Zeit und Zeitgeschichte auseinandersetzt, auf der anderen Seite aber auch pralle Erotik, natürliche Sinnlichkeit und Lebensfreude spiegelt. Erotische Leitlinien durchziehen einen wesentlichen Teil des Œvres von Willi Sitte und seiner realistisch-romantischen Darstellung zahlloser Liebesakte. Sein Werk umfasst eine Fülle sexueller Gestaltungen und Liebesbilder, mit denen er für ein freudiges, liebeserfülltes Leben plädiert. Zweifelsohne kann man hierbei von Sinnbildern des Glücksstrebens und der Daseinsfreude sprechen, mit denen Willi Sitte zeitlebens für die entwickelte, reife Sinnlichkeit und Genussfähigkeit eintritt.

 

 

"Fleischmassen beherrschte er und präsentierte sie ohne Scheu einer Mangelgesellschaft", schrieb ziemlich abfällig und despektierlich, Matthias Kampmann in der Kunstzeitung, anlässlich des Todes des großen Künstlers Willi Sitte. Der streitbare, engagierte Maler prägte eine halbes Jahrhundert lang die Bildkunst der damaligen DDR und war sogar Kulturfunktionär der deutschen, demokratischen Republik. Wie in vielen Kommentaren und Positionen kapitalistisch geprägter Kunstkritiker drücken sich in jener Würdigung die ganze Verachtung und die Vorurteile gegenüber des damaligen 'real existierenden Sozialismus' aus, welche die Goutiers des gut situierten Kunstmarktes im Westen in logen- und dogenhafter Einmütigkeit und Stoik ihren Kundenkreisen predigten. Als wenn das vermeintlich konkurrierende Kunstauffassungen in Frage stellen könnte, die den Menschen und seine Bezüge in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung gestellt haben..

Staatskünstler und Menschenrechtler

"Er gab sich gerne aufständig und fand später die entsprechenden Wendungen, seine Vita zu rechtfertigen - trotz seines zweifellos linientreuen Verhaltens. (...) Apparatschik will er allerdings nie gewesen sein", meint Kampmann moralinsauer, und ordnet Sitte als Erben Rubens ein. Mit deutlichen Renaissance-Bezügen und Huldigungen an die romantisch-religiösen Nazarener oder Lukasbrüder der Kunst im 19. Jahrhundert. Nichts könnte einer historisch-dialektischen Sichtweise eines Sozialisten, der Sitte war, indes fremder sein. So eine Kunstkritik bewertet nach rein formalistischen, ideologischen Kriterien lediglich die pathetische und intensive Art und Weise, gewaltige, eindrucksvolle Tafelbilder zu schaffen, während der gerade Sitte so wichtige Inhalt des Dargestellten, seiner leidenschaftlicher Humanismus, unerwähnt bleibt. Während Rubens damals Diplomat gewesen sei, so der konservative Kritiker, sei Sitte eben der Funktionär, der quasi in der Kunst seine erotische Heile-Welt-Zerstreuung gefunden habe. Wie abwertend ist das denn?

Ja klar! Na und? Willi Sitte war von 1974-1988 Präsident des Verbandes Bildender Künstler der DDR, saß als Abgeordneter in der Volkskammer und war von 1986-1989 in der Kulturkommission des Zentralkomitees der SED. Aber diskreditiert es wirklich einen Künstler, wenn er aktiv am politischen Geschehen seiner Zeit mitzuarbeiten gedenkt? Als "Staatskünstler" geschmäht und im Westen ignoriert, während sich nicht wenige Nachkriegskünstler in ostentativer Weise eines unpolitischen Abstraktismus und Formalismus befleissigen? In der westdeutschen und europäischen Kunstszene wurde Willi Sitte aber spätestens durch seine Teilnahme an der 'documenta 6' im Jahr 1977 in Kassel, wo er zusammen mit den Begründern des Malstils «Leipziger Schule» wie Bernhard Heisig (85), Wolfgang Mattheuer (1927-2004) und Werner Tübke (1929-2004) die DDR vertrat, wahrgenommen und diskutiert.

Der 1921 in Kratzau (heute Tschechien) geborene, ursprüngliche Zeichner, später Maler, hatte nach dem Besuch der Kunstschule des Nordböhmischen Gewerbemuseums Reichenberg seine künstlerische Ausbildung an der Hermann-Göring-Meisterschule für Monumentalmalerei in Kronenburg (Eifel) bei Werner Peiner fortgesetzt, ehe er dann - ausgelöst durch eine von ihm und Mitstudenten verfasste Petition gegen die Ausbildungsmethoden der Schule - von 1941 bis 1944 Kriegsdienst leisten musste. Als Konsequenz seiner Ablehnung des Faschismus schloss er sich 1944 einer italienischen Partisaneneinheit an. Nach dem 2. Weltkrieg hatte er schließlich in Halle seinen Wirkungskreis gefunden. Hier etablierte er sich schnell als Zeichner und Maler und wirkte bereits ab 1951 an der Kunstschule Burg Giebichenstein als Lehrbeauftragter, später Professor (1959). An der 1958 zur Kunsthochschule beförderten Bildungseinrichtung lehrte er bis zu seiner Emeritierung 1986.

Klare figürliche Darstellung, malerischer Gestus und Farbigkeit

Willi Sitte hat neben den großen Themen, die ihn über Jahre beschäftigt haben wie Krieg, Faschismus, Unterdrückung von Minderheiten, immer fast seismografisch die Lebensäußerungen und Denkweisen seiner Zeitgenossen in Bildern, Zeichnungen und Grafiken verfolgt. Dabei sollen genaue Beobachtung und kritische Auseinandersetzung eine Einheit bilden. Den Mittelpunkt seines Werkes bildet immer wieder der Mensch in seinen verschiedenen Ausdrucksformen, das ist Sittes ständiger Anreiz und Motiv zum Arbeiten. Immer wieder geht es ihm um eine klare figürliche Darstellung, bei der malerischer Gestus und Farbigkeit den Betrachtenden berühren. Er besitzt eine besondere Fähigkeit bei der Darstellung von Bewegung, Bewegungsabläufen und hat das im Futurismus häufig angewandte Simultanbild weiterentwickelt, welches wie bei einer Überblendung beispielsweise den Eindruck des hin- und hergeworfenen Kopfes einer Frau beim Liebesspiel verstärkt (siehe Bild unten).

Der Mensch wird in Sittes Bildern in einer Vielzahl von Aktionen gespiegelt, erklärt Dr. Hans-Georg Sehrt, Kunsthistoriker in der Galerie Willi Sitte in Merseburg, welche den Nachlass des Künstlers verwaltet. Lust, Leben und Erotik sowie Motive der Alltags- und Arbeitswelt bestimmen überproportional Sittes Arbeiten. Die in ihren Tätigkeiten oft nackt und unbekümmert dargestellten Figuren: vom Gerüstbauer zum Schwimmer, vom Sonnenbadenden zum Stadtbummler, über einzelne Akte und Liebespaare, bis hin zu arbeitenden oder demonstrierenden Menschengruppen, alle bevölkern fröhlich und munter eine dynamische und freiheitliche Welt, in der die erfrischende  und spielerische Erotik und Sinnlichkeit einen gern genossenen Ausgleich zu den Mühen und der Drangsal der mechanischen Welt bildet.

Die Willi-Sitte-Galerie in 06217 Merseburg, in der Domstraße 15, zeigt noch bis zum 15. Januar 2014 die Walter Sitte Ausstellung "Leben mit Lust und Liebe", Öffnungszeiten sind Di - So  10 - 17 Uhr (ab Nov. bis 16 Uhr), Mo ist geschlossen.

 

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