Die Venusfalle im Schauwerk Sindelfingen

21.02.2015 14:11

Russell Young - Marilyn Crying

Die Darstellung der Frau, oft als Akt, nimmt in der Kunstgeschichte eine herausragende Stellung ein - ob in kultischen, mythologischen oder neuzeitlichen Bildnissen. In der Moderne wird auch zunehmend die Beziehung zwischen Maler und Modell zum Werkgegenstand. Schon länger zeigt das Schauwerk Sindelfingen die Ausstellung "Ladies first!", die Werke von 30 Künstlerinnen aus der Sammlung Schaufler vereint. Jetzt ist jenen Arbeiten die Schau "Venusfalle" (bis in den Januar 2016) gegenübergestellt worden, die den heutigen Blick männlicher Künstler auf das Weibliche in den Fokus rückt.

 

Immer wieder setzen sich eitgenössische Künstler mit Diven, Stilikonen, verführerischen Femmes fatales oder archetypischen Sexsymbolen auseinander. Sie offenbaren auch die Ambivalenz des männlichen Blicks, der die Frau als Muse oder gefährliche „Falle“ zeigt. Die Ausstellung umfasst gattungsübergreifend Arbeiten aus Fotografie, Skulptur, Video und Malerei. Sie dokumentiert das Thema Weiblichkeit als unerschöpfliche, fortdauernde Inspirationsquelle.

Arbeiten von international renommierten Künstlern wie Alex Katz, Jim Dine, Imi Knoebel, Yasumasa Morimura oder Ugo Rondinone sind dabei ebenso zu sehen wie noch nie gezeigte Werke von Anselm Kiefer, die zu den Neuerwerbungen der Sammlung Schaufler zählen.

"Venusfalle" ist auch der Titel eines Films von Robert van Ackeren aus dem Jahr 1988. Darin verliebt sich ein Mann unsterblich in die Stimme einer Frau am Telefon. Nicht das Aussehen einer Frau also oder gar deren Persönlichkeit sind entscheidend, sondern nur die Stimme. Die Ausstellung im Schauwerk will mit der Ausstellung desselben Titels zeigen, was für einen intellektuellen Ausdruck das ambivalente Frauenbild heutiger Künstler vor dem Hintergrund unserer multimedialen Welt findet.

Als erstes fällt der Blick auf das Gesicht von Marilyn Monroe, ein von der Direktorin des Schauwerks, bewusst gewähltes Entree. "Wenn man verschiedene Personen befragt, würden vermutlich viele sagen: Marilyn Monroe ist das Sexsymbol des 20., nicht des 21. Jahrhunderts", so Barbara Bergmann.

Es ist alles da, was auf Männer reizvoll wirken kann und je auch gewirkt hat: die blonde, fein ondulierte Mähne, der rote Schmollmund. Aber heir sprechen wir nicht von dem berühmten Porträt, das Andy Warhol von der Sexgöttin gestaltet hat. Wir sehen ein hochgerastertes Pressefoto, das Russell Young in kitschigem Pink mit Diamantenstaub auf Leinwand gedruckt hat. Da kommt noch das Preziöse hinzu, das die Männerherzen schmelzen lässt, und pi(n)kanterweise: Das Foto zeigt die Monroe, wie sie das Gerichtsgebäude verlässt, in dem sie kurz zuvor von ihrem Mann geschieden wurde.

Den Blick hat sie gesenkt, eine Hand wischt verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Zumindest soll es so aussehen. Das ist die Pose, mit der Frauen gleichfalls Männerherzen erobern können. Es verbirgt sich, so bereits die Erkenntnis bei diesem ersten Exponat, einiges mehr an Schein als Sein hinter dem Begriff Venusfalle. Reine Schönheit ist es jedenfalls nicht allein, was Männer antörnt. Schönheit wird mensch auch kaum in dieser Ausstellung finden. So fehlt bei vielen Arbeiten in der Sindelfingener Ausstellung das, was auf den ersten Blick schön wirken könnte, das Gesicht. Anselm Kiefer hat statt des Kopfes symbolische Elemente auf Frauenkörper platziert. Ein Buch zum Beispiel für die Dichterin Sappho.

"Die Antike wirkt noch sehr stark nach, das hat mit den Schönheitsidealen der Antike zu tun, und es gibt bestimmte Archetypen, die auch in der Kunstgeschichte weiter bestehen bleiben, so die Figur Venus zum Beispiel oder die Damen aus der Antike bei Anselm Kiefer", ergänzt die Direktorin.

"Das was wir hier sehen, sind eben keine individuellen Porträts von Frauenpersönlichkeiten mit all ihren Facetten. Sondern Ikonen oder Idole. Die Frau in einer Rolle und Funktion und auch eine Projektion aus dem Blick von Männern. Vielleicht kann man sagen, dass dieser Prozess sich immer weiter entindividualisiert, dass in unserer Zeit der Mediengesellschaft selbst diese VIPs austauschbar geworden sind."

Jim Dine ließ sich konkret von der Venus von Milo inspirieren, dem geradezu überzeitlichen Schönheitsideal. Seine Venus aber besteht nur aus dem Torso, ohne Kopf. Man könnte auch sagen: Sie ist reiner Sex. Denn natürlich kann auch das rein Körperliche Teil der Venusfalle sein. Und der Sexappeal muss nicht im Schmollmund einer Monroe liegen, er kann sich ganz auf den Körper reduzieren. So sehen wir eine Serie von Arbeiten, in denen die Frauenreize ausschließlich auf mondäne Abendkleider reduziert sind. Die Köpfe, ja sogar die Körper fehlen.

Ebenso zu sehen ist der Fotograf Sante d'Orazio, der von vielen als legitimer Erbe eines Helmut Newton gilt. Er zeigt Fotos hier, auf denen berühmte Models unserer Tage wie Kate Moss sich in verführerischen Posen darbieten. Das Echte, das Unverfälschte, das Individuelle, so scheint es, braucht die Venusfalle nicht. Viel wichtiger scheint die Rolle. Und so verwundert es nicht, wenn man am Ende dieses erotischen Parcours einer Fotoserie begegnet, auf der der Fotograf sich ganz mit der Frau identifiziert, sich schminkt wie eine Frau, sich in Pose wirft wie eine Frau, die es darauf anlegt, Männer in die Falle zu locken. Es ist nicht einmal das Geschlecht nötig, der Schein, die Show sind offenbar genügend Lockmittel in der Venusfalle.

Öffnungszeiten im Schauwerk, in 71065 Sindelfingen, sind: Dienstag, Donnerstag 15:00–16:30 Uhr und Samstag, Sonntag 11:00–17:00 Uhr. Nähere Infos finden Sie unter: www.schauwerk-sindelfingen.de

 


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