"Samtene Wut und Schönheit" - Andy Warhol in der Neuen Nationalgalerie Berlin

04.10.2024 15:01

Andy Warhol zählt zu den bekanntesten und meistdiskutierten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Er gilt als "Erfinder" der Pop-Art, mit ihren grellen, ikonen- und collagenhaften sowie seriell reproduzierbaren Kunstwerken. Seine Person und sein Werk sind wiederum unzertrennbar mit der aufstrebenden und Grenzen sprengenden Avantgarde- und Künstlerszene New Yorks verbunden, deren Moden, Eskapaden und Exzesse sich in Warhols Werk widerspiegeln. Nicht so bekannt und von der Öffentlichkeit wahrgenommen, ist aufgrund ihrer expliziten Motive und Inhalte, der, ich nenne es mal erotische Teil seiner Kunst. Seit den späten 40er-Jahren bis zu seinem Tode 1987 durchzog diese Suche und Auseinandersetzung mit seinem eigenen sexuellen Begehren und seinem, meist männlichen Schönheitsideal, sein Schaffen.

 

 

Von seinen frühen Zeichnungen über die sogenannten Screen Tests und Filme der 60er-Jahre bis hin zu seiner künstlerischen Zusammenarbeit mit dem aufstrebenden Jungkünstler-Star Jean-Michel Basquiat in den 80er-Jahren, erforschte er in unzähligen Fotografien, Porträts und Aktbildern, die eigenen Sehnsüchte in einer bis dahin beispiellos direkten, ungeschminkten, ungefilternden, fast aufdringlich zu Leibe rückenden Weise. Mit einer durchaus fetischistischen (gesteigert materialistischen) Haltung, welche er mit den meisten Künstlern einer zutiefst nicht-idealistischen Nachkriegszeit teilt, die ohnehin ein Kernmerkmal des von ihm so gehuldigten Kapitalismus und der prosperierenden Konsumgesellschaft bildet. Ihn faszinierte, wenig feinsinnig, die körperliche Landschaft mit ihren deutlichen Primärreizen sowie das Sichtum und der Verfall derselben, die Schwächen, Zerbrechlichkeit und Stärke des Körpers, der er seine eigene Widersprüchlichkeit und Fluidität in Form von vielen Selbstporträts gegenüberstellt.

 


Zu seinen Lebzeiten wurden seine expliziten Körperdarstellungen oft als unmoralisch, pervers, oder gar als pornografisch angesehen.Daher wurde seinen Werken nicht die öffentliche Sichtbarkeit zuteil wie seinen emblematischen, unproblematischen Motive von Konsumgütern oder Wahrzeichen des Kapitalismus, von dem er sichtlich und nachhaltig angetan war. Ich stellte mir bei der Betrachtung der ausgestellten Werke die Frage, inwieweit er mit seinem seriellen, schnell verwertbaren Habitus und Gestus der erotischen Kunst nicht eher ihre Unschuld geraubt haben mag, mit seiner obszönen Direktheit, Fetischisierung des männlichen Geschlechtsteils und Entidealisierung von Erotik und Sinnlichkeit zugunsten von sezierender Obsession und Akrebie?

 



Ich sah in der Neuen Nationalgalerie in Berlin diese große Zusammenstellung aus mehr als 300 Gemälden, Drucken und Zeichnungen, Fotografien, Polaroids, Filmen und Collagen, die sich alle um den so zentralen Schaffensbereich der Erotik und Aktdarstellung in Andy Warhols Werk konzentrieren. So ermöglicht die Ausstellung durch die Dichte und Kompaktheit ihrer thematischen Fokussierung, ein umfassendes und nachvollziehbares Verständnis des Künstlers sowohl als unruhig getriebener aber auch unermüdlich produktiver, kreativ Suchender, neben seinerselbst als Kopist und Steuermann seiner eigenen Mustererkennung, jedoch auch als liebendes, begehrendes Subjekt. Dieser intime, persönliche Zugang zu einer sonst eher als unnahbar, geheimnisvoll, ätherisch und androgyn bekannten Künstlerfigur, ist das Verdienst der großen Berliner Andy-Warhol-Ausstellung. Das zahlreiche multi-kulturelle Publikum scheint mir ebenso diesen seltenen, spektakulären und schillernden Einblick in das schon archetypisch zu nennende, neue Kunstverständnis der 50-er bis 80er-Jahre zu genießen, wie ich einigen wehmütigen Aussagen von damaligen Schwulen-Aktivisten genauso zu entnehmen glaube, wie jüngeren Besucherinnen und Besuchern, die staunend vor den Zeugnissen dieser Blütezeit von Kreativität und Kust stehen.

Andy Warhol starb 1987 im Alter von nur 58 Jahren. Er hinterließ ein komplexes Werk, das nachfolgende Generationen von Künstlern und Künstlerinnen beeinflusste. Wenn die Ausstellungsmacher*innen in ihrem Ausstellungstext konkludieren: "Warhol erfuhr zu seinen Lebzeiten nie die offene Akzeptanz von Queerness, die wir heute haben..." erscheint mir das zwar ein wenig wie das Überstülpen, Aufpropfen einer Scheinwahrheit, mithin ein Versuch der ideologischen Vereinnahmung der Kunst Andy Warhols, die dieser damals wohl so niemals intendiert hätte, da in seinem frühen Werk sich deutlich seine Suche nach dem eigenen Begehren mit einem konsequent verfolgten künstlerischen Weg und Anspruch paart, der jedoch nie ein Kampf um Anerkennung und Stolz, um identitäre Akzeptanz war. Das hätte den Künstler nur von der authentischen Fundierung und Tiefe seines Werks abgebracht.

Ebenso scheint mir der Titel der Ausstellung "Velvet Rage and Beauty", der laut Katalog eine Hommage an das Buch "The Velvet Rage" des Autoren Alan Downs von 2005 sei, in welchem jener das Gefühl eines homosexuellen Mannes in einer heterosexuell dominierten Welt aufzuwachsen und zu leben beschreibt, verfehlt, da es eher eine Hommage nach dem Geschmack der Kurator*innen zu sein scheint. Das längst verstorbene Künstler-Genie wird davon wohl kaum Kenntnis gehabt habe. Aber vor allem scheint mir der Titel manipulativ verschoben, weil "Rage / Wut" nun wirklich kein Kriterium in Andy Warhols Werk darstellt (eher Selbsterfahrung oder Zärtlichkeit). Ein Künstler verschafft seinem drängenden Begehren Ausdruck (oftmals sogar eher scheu und verklemmt, was von seinen Models, allen voran Jean-Michel Basquiat, nun wahrlich nicht behauptet werden kann) wird aber keinesfalls um sein Ansehen bedacht um Aufmerksamkeit buhlen, sondern gewinnt in der künstlerischen Bearbeitung dadurch erst seine Identität, künstlerische Freiheit, individuelle Potenz und letztlich Erlösung.

So transparent und jenseitig er schon als Erscheinung der New Yorker Kunst- und Avantgardistenszene wirkte, so löste er sich mit zunehmender Produktionssteigerung seiner factory und Flutung der Kunstszene mit Kopien und Serien von Kopien seiner Motive selber immer mehr auf, bis er noch vor der großen Zeitenwende ganz verschwand. zu der er sicherlich einen herausragenden Anteil beigetragen hat, dem "Fall der Mauer", nicht zuletzt ausgelöst durch die kulturelle Freiheitsbewegung des SexDrugsRocknRoll, welches das eiserne, starre, neurotisch-sadistische System der alten Machtblöcke zum Einsturz zu bringen trachtete - aber nicht mit Wut (oder Hass wie heute), sondern mit Bewusstseinserweiterung und freier Liebe.

Leider haben dann die Kräfte des Kapitalismus, dem Andy Warhol ebenso mit glühender Begeisterung wie für seine schönen Models, eine eigene Kunstgattung geschaffen hat, schnell auch die Pop-Art (kommt wohl von "poppen"...) okkupiert, um die Kunst vom Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit (Walter Benjamin) in das Zeitalter der kopierbaren Beliebigkeit zu überführen, mit der sich der ungehemmte, pervertierte Markt der Dinge und Eitelkeiten im Spätkapitalismus, nun abgeschmackt als grelle Attitude und ewig pubertierend-befindliches Achtungheischen über alle Kunst und Kultur ausbreitet.

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