Ursprung des Ursprungs der Welt enthüllt

26.09.2018 16:03

Gustave Courbet - "L'Origine du Monde" (1866)

Wie Medien jüngst meldeten, sei nun bekannt, wer das Modell war, welches als Vorlage für das wohl berühmteste Gemälde der erotischen Kunst diente, für "L'Origine du Monde" / "Der Ursprung der Welt" von Gustave Courbet. Ein skandalöses Werk, über das sich das Kunst-Publikum des ausgehenden 19. Jahrhunderts mächtig echauffierte, obwohl es, genau genommen, kaum jemand zu Gesicht bekam und es nur als Mythos kursierte. Auch heute noch erscheint das berühmte Kunstwerk vielen als anstößig. 2014 weigerte sich die französische Post, den „Ursprung der Welt“ auf einer Briefmarke abzudrucken, da es Kinder verstören könnte. Und in diesem Jahr fiel ein Abbild des Kunstwerkes auf einem facebook-Profil der Zensur und darauf hin folgenden Schließung des Accounts zum Opfer. Den heutigen Leitmedien ist die Neuigkeit um den Skandal-Klassiker nun immerhin Anlass, das erotische Meisterwerk doch großflächig schamlos (also ohne zu kaschieren oder ohne das berühmte Feigenblatt/schwarzer Balken) zu präsentieren - wenn das mal bloß nicht die von Pädagogik verstörten Kinder in der Auslage am Zeitungskiosk sehen...

 

 

Auf dem Gemälde „Ursprung der Welt“ von Gustave Courbet (* 10. Juni 1819 in Ornans bei Besançon; † 31. Dezember 1877 in La-Tour-de-Peilz/Schweiz) spreizt eine nackte Frau die Beine, so dass der Blick des Betrachters geradewegs auf ihre, mit üppiger Schambehaarung ausgestattete Vulva gelenkt wird. Der Busen der verführerisch Ruhenden ist (sozusagen aus der Froschperspektive, nur zum Teil zu sehen, denn ein Laken umhüllt sie, verbirgt aber nur ihr Gesicht.

Wer auf "Der Ursprung der Welt" wirklich zu sehen ist, wurde nun enthüllt: Die 34 Jahre alte Tänzerin Constance Quéniaux soll 1866 für das Bild Modell gestanden haben, das berichten französische Medien. Der französische Literaturwissenschaftler Claude Schopp ist zufällig auf einen Brief des Schriftstellers Alexandre Dumas des Jüngeren gestoßen, in welchem dieser schreibt, Quéniaux habe Gustave Courbet ihr „Inneres“ präsentiert.

Zudem soll die frühere Tänzerin der Pariser Oper eine der Mätressen des türkisch-ägyptischen Diplomaten und Kunstbegeisterten Khalil-Bey gewesen sein. In seinem Auftrag malte Gustave Courbet damals das Bild. Ein weiteres Indiz: Nach dem Tod von Constance Quéniaux 1908 wurde ein Stillleben, gemalt von Courbet, bei ihr gefunden, was sicherlich ein Geschenk des Künstlers gewesen war. Courbet, der sich im Kreise mit Künstlern und Intellektuellen wie Charles Beaudelaire oder Pierre-Joseph Proudhon entwickelte, gilt als Wegbereiter des französischen Realismus, der einen großen Einfluss auf die gesamte europäische Kunstszene ausüben sollte.

Wie eine Expertin der französischen Nationalgalerie, welche im Besitz des Bildes ist, der Nachrichtenagentur AFD mitteilte: „Nun haben wir zu 99 Prozent Sicherheit, dass Constance Quéniaux Courbets Modell war.“ Dass Quéniaux das Gesicht zum „Ursprung der Welt“ ist, war damals jedoch anscheinend in Künstlerkreisen "kein Geheimnis, sondern allen bekannt“, so die Kunstkennerin zu der Geschichte des Werkes, das heute im Pariser Musée d’Orsay hängt.

Immer wieder löst „Der Ursprung der Welt“ Diskussionen um die Grenze von Kunst und Pornografie aus – obwohl es bereits weit älter als 100 Jahre ist. Der Maler fertigte auch andere Bilder für den Kunstsammler Khalil-Bey an, doch nur dieses Bild versteckte der Diplomat vor Gästen. Als der Sammler, der eine große Sammlung mit Aktgemälden pflegte, in finanzielle Schwierigkeiten geriet, wurden die Gemälde versteigert. „Der Ursprung der Welt“ ging zunächst an den Antiquitätenhändler Antoine de la Narde. Als Edmond de Goncourt das Bild 1889 in dessen Laden entdeckte, war es hinter einer Abdeckung aus Holz versteckt, die mit dem 1874–1877 entstandenen Bild „Le château de Blonay“ dekoriert war. Der Holzrahmen dieser Darstellung einer Schneelandschaft mit Kirche ließ sich nur mit einem Schlüssel öffnen, wodurch das Bild dahinter neugierigen Blicken verborgen blieb.

Im Jahr 1955 kaufte der Psychoanalytiker Jacques Lacan das Original aus unbekannter Privathand. Er und seine Frau, die Schauspielerin Sylvia Bataille, hängten es in ihrem Landhaus in Guitrancourt auf. Aber auch dort wurde es den Blicken der Öffentlichkeit entzogen: Lacan bat seinen Schwager André Masson, ihm einen verschiebbaren Doppelrahmen dafür zu bauen, der vorn ein anderes Gemälde zeigte. Masson malte daraufhin eine Landschaft, die exakt der Linienführung des Originals folgte. Um den Surrealismus dieser Version zu verstärken, trug es denselben Namen („L’Origine du monde“).

Erst mit Lacans Tod 1981 tauchte das Bild wieder auf und gelangte zunächst wieder nach Frankreich. Im Brooklyn Museum in New York City wurde es 1988 erstmals öffentlich präsentiert. Seit 1995 ist es im Musée d’Orsay in Paris ausgestellt.

In Wikipedia ist dazu zu lesen: "Die Konfrontation mit der konkreten Realität der menschlichen Sexualität ist das offensichtliche Thema des Bildes. Es galt schon zu Lebzeiten Courbets als Wendepunkt in der Geschichte der Malerei und machte nicht nur wegen des anstößigen Motivs in den Pariser Salons die Runde. Danach wurde es – auch weil es niemand mehr zu Gesicht bekam – zu einem Mythos. Die Geschichte seines Verstecktwerdens zeigt, dass es die Tabugrenzen der Kunst verschob.

Auch seit seiner Wiederentdeckung und erstmaligen Ausstellung rief das Bild teilweise heftige Reaktionen hervor. In Feuilletons und Debatten wurde immer wieder der Vorwurf der Pornographie laut: Die Grenzen der Kunst schienen hier überschritten worden zu sein. Die unverhüllte Darstellung der Vulva löst auch heute noch heftige Reaktionen beim Publikum aus. Im Musée d’Orsay wurde deswegen ein Wachmann mit der permanenten Bewachung nur dieses Kunstwerkes beauftragt.

In der Kunstgeschichte markiert das Bildmotiv einen gewissen Endpunkt des Realismus: Die realitätsnahe Darstellung und der Bildausschnitt widersprachen einander. Ein kunstkritischer Zeitgenosse Courbets bemerkte dazu: "Der Künstler, der sein Modell naturalistisch kopierte, hat vergessen, die Füße, die Beine […] und den Kopf wiederzugeben."

Dieses Weglassen des Kopfes ist dabei genau diejenige Perspektive, die der Feminismus hundert Jahre später als charakteristisch für die Pornographie bezeichnen sollte: Die Frau wird zum Objekt der männlichen Ausbeutung, zum reinen Körper ohne Gesicht und Persönlichkeit. Das Bild rührt hier – neben der Darstellung von Sexualität und expliziter Nacktheit – an ein weiteres Tabu: die gesellschaftlichen Machtstrukturen und ihre ikonographische Aktualisierung. Das macht das klassische Tafelbild trotz seiner figurativen Exaktheit und traditionellen Maltechnik so modern.

 

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