Höllenvisionen Sybille Rupperts in der Kunsthalle Gießen

19.07.2023 20:14

Sybille Ruppert - Dancing in Darkness

Ihre Figuren könnten einem Horrorfilm oder einem Danteschen Hölleninferno entsprungen sein. Die Kunsthalle Gießen zeigt die eigensinnigen Werke der Malerin Sibylle Ruppert als späte Würdigung einer zu Lebzeiten verkannten Künstlerin. Gefällig war ihre Kunst nie. Die Bilder und Zeichnungen der 2011 verstorbenen Frankfurterin Sibylle Ruppert in der Ausstellung "Dancing in Darkness" in der Kunsthalle Gießen zeigen teilweise humanoide Körper in Braun oder Grau. Sie winden sich, brechen zusammen, werden aufgeschlitzt, zerrissen und penetriert. Viele sind nackt, sexualisiert, verformen sich zu Maschinenwesen oder zu wuchernden Fleischsynthesen. Eine visionäre Kunst in Hinsicht auf den aktuellen Diskurs über den Transhumanismus. Desweiteren werden Erinnerungen an das Werk von H. R. Giger nicht von ungefähr hochkommen.

 

 

Ihrer Zeit voraus


Zwölf Jahre nach ihrem Tod ist eine reich bestückte Ausstellung ihrer Werke in der Kunsthalle Gießen und in der Kulturkirche St. Morus zu sehen. Es ist die erste institutionelle Ausstellung dieser  Malerin, die mit ihrer "einzigartigen Bildsprache" ihrer Zeit voraus war, wie die Kunsthallen-Leiterin Nadia Ismail feststellt.

Die Kunsthalle sei über den Gießener Sammler Paul Walter auf Rupperts Kunst aufmerksam geworden, erzählt Ismail. Nach ersten Sichtungen sei schnell klar gewesen, dass es eine Schau geben müsse zu dieser Künstlerin, "die viel zu lange unter dem Radar" geflogen sei."Rupperts Bildsprache ist einzigartig", sagt Ismail. Sie passe in keine Schublade. Sie sei detailverliebt, wunderschön gezeichnet, aber auch surreal, erotisch und zumindest stellenweise gewaltpornografisch. Deswegen werden in der Kulturkirche spätere Werke Rupperts gezeigt, die weniger gewaltvoll seien und an religiöse Märtyrerdarstellungen erinnerten.

 

Körpersynthesen und -symbiosen

Viele der großformatigen Bilder in der Kunsthalle erinnern an den Schweizer Maler H.R. Giger, den Schöpfer des Monsters im Hollywood-Blockbuster "Alien" von 1976. Mit ihm war Ruppert befreundet, seit sie ihn auf einer Gruppenausstellung kennengelernt hatte.

Die Motive der beiden Künstler unterscheiden sich aber durchaus, findet die Leiterin der Kunsthalle. Gigers Hauptmotive sind Menschen, die mit Maschinen verschmelzen, bei Ruppert sind es menschliche Körper oder Körperteile, die mal verschmelzen, mal von innen zerrissen werden. Beiden gemeinsam sei, dass sie einen düsteren inneren Zustand sichtbar machten, "in einer sehr speziellen ästhetischen Formensprache".


Verarbeitung von Gewalttraumata

Die Bilder, Zeichnungen und Collagen legten nahe, dass die Künstlerin Traumata verarbeitet habe, sagt ihr Nachlassverwalter und Freund, Paul Walter. Möglicherweise habe der Vater die Tochter missbraucht - Briefe des Vaters ließen diesen Schluss zu.

Wahrscheinlich sei Ruppert, die er stets als kultiviert erlebt habe, wegen dieser Erfahrungen von den morbiden und teils gewalterotischen Schriften des französischen Autors Marquis de Sade oder von den Surrealisten Lautréamont und Georges Bataille fasziniert gewesen. Ihm sei jetzt erst bewusst geworden, dass Rupperts Werk zwölf Jahre nach ihrem Tod endlich mit einer Einzelausstellung gewürdigt werde, sagt Paul Walter. "Das ich das noch erleben darf, ist ein großes Geschenk."

 

Der Durchbruch als Künstlerin blieb aus

Es sei bedauerlich, dass es diese virtuose Künstlerin zeitlebens nicht geschafft habe, sich auf dem internationalen Kunstmarkt zu etablieren, findet die Leiterin der Kunsthalle Gießen. "Aber sie lief dem damaligen Diskurs entgegen." In den 1960er- und 1970er-Jahren habe sich alles darum gedreht, die Institutionen und die Gesellschaft zu kritisieren. "Ich glaube, das Direkte von Sybille Ruppert, das mag viele Leute abgestoßen haben

Die Künstlerin wurde am 8. September 1942 in Frankfurt geboren. Rupperts Vater war Grafiker und auch das Kind eine begabte Zeichnerin, die sich 1958 zunächst an der Werkkunstschule in Offenbach einschrieb, dann aber an der Städel Akademie studierte. Zuvor hatte sie schon eine Ausbildung zur Balletttänzerin gemacht. Mit 18 Jahren ging Ruppert nach Paris, wo sie sich zunächst auch in eine Tanzschule einschrieb. Nach Touren mit einem Tanzensemble kehrte sie Ende der 1960er Jahre nach Frankfurt zurück und begann, neben der Malerei als Zeichenlehrerin an der von ihrem Vater gegründeten Kunstschule zu arbeiten.

Ihre Werke waren immer wieder in Gruppenausstellungen etwa in Gießen oder Frankfurt zu sehen, unter anderem zusammen mit Bildern von H.R. Giger. Später zog Ruppert wieder nach Paris. Da der Durchbruch auf dem Kunstmarkt ausblieb, verdiente sie ihren Lebensunterhalt durch die kunsttherapeutische Arbeit mit psychisch Kranken und Häftlingen. 2011 starb sie in Paris.


Die Ausstellung "Dancing in Darkness" mit großformatigen Werken der Künstlerin, aber auch Collagen, Zeichnungen, Briefen, Fotos und Schriften, in der Kunsthalle Gießen und der Kulturkirche St. Thomas Morus, läuft vom 29. Juli bis 22. Oktober 2023 in der Kunsthalle Gießen (Berliner Platz 1) und in der Kulturkirche St. Thomas Morus (Grünberger Str. 80).

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