Ist Schönheits-Chirurgie ästhetisch?

11.02.2011 19:24

Bacchus von Rubens

Als ich gerade bei Google nach dem Begriff 'Ästhetik' schaute, da war ich echt baff. Unter den ersten zehn Einträgen erschien zwar zuerst der immer wieder wichtige Wikipedia-Beitrag, und ebenso einige philosophische Referenzen, aber die letzten vier Einträge verwiesen auf irgendwelche Kliniken für Schönheits-Chirurgie. Als ich dann noch von dem "Aesthetic Centrum Hannover" las, war ich vollends entgeistert und entsetzt. Was bitteschön hat Chirurgie und Schönheitswahn mit Ästhetik zu tun? Mit der philosophischen Lehre des "Schönen und Erhabenen" (Immanuel Kant)?

 

Dieser Eindruck ändert sich auch nicht auf der zweiten und dritten Seite der Google-Suchergebnisse. Die Schönheitsindustrie und das Aesthetic Centrum Hannover haben das philosophische und kulturelle Konzept von Ästhetik unterwandert und penetriert unser eigentlichen Verständnis von Wert, Schönheit, Harmonie und positiver Wahrnehmung durch einen unerbittlichen Verdrängungswettkampf mit lediglich konsum- und wahngesteuerten falschen (weil ent-menschlichenden) Idealisierungen und Marktmechanismen.

Was ist denn schön, sinnlich, harmonisch und anrührend? Brustvergrößerungen durch Silikon-Implantate, Beutel voll Gel, die in Flugzeugen platzen können? Botox-Einspritzungen, die die Nerven des Hautgewebes lähmen und dadurch glatter erscheinen lassen? Zahn- und Kieferoperationen, die uns alle mit einem normierten Strahler-77-Dauerlächeln ausstatten? Penisverlängerungen durch Implantate aus der Haut vom Unterarm oder Rücken? Fettabsaugungen am Po und Bauch, wo literweise ekliges Glibberfett angehäuft wird, welches fachgerecht entsorgt werden will (vielleicht ja an Mastschweine verfüttert)? Ihh Gitt! Augenlid-Straffung, Schamlippen-Schnippeleien, Ohren anlegen, Beinverlängerung durch brechen derselben, Nasenkorrekturen durch Nasenbein-Fraktur, Schweißdrüsenabsaugung (bäh wie eklig!), und die Methoden des Facelifting, wie sie Narben und Schnittwunden hinter den Ohren oder Haaransätzen verstecken? Ist das ästhetisch? Ist das ein gerechtfertigter Preis für die Schönheit?

Sicher, die Ärzte und Chirurgen, die mit dem Schönheitswahn Millionen verdienen, sind oft wahre Künstler in dem was sie machen! Aus ihrem ca. 14 cm langen Schwanz sei jetzt eine 25 cm tiefe Möse geworden - dank der Künste des Dr. frankenstein666 (oder sonst wem), erzählte eine exaltierte Transe gestern im Fernsehen stolz dem staunenden Publikum auf der Reeperbahn. Ja klar, die Schönheitsindustrie ist eine wirkliche Künstlerschmiede - früher hätten wir 'Talentschuppen' gesagt - wo die Meister manisch, oder von einer göttlichen (schöpferischen) Eingebung durchtränkt, selbstvergessen und sublim, von Idealen beseelt und auf der gewissenhaften Suche nach dem einzig wahren, originalen und authentischen Ausdruck, ihre Skalpelle, Tupfer, Absauger und Schaber bereit legen, wie die Künstler ihre Pinsel und Farben.

Viel problematischer finde ich das Verhältnis vieler junger Menschen zu den Verlockungen und Glücksversprechungen der Schönheitsindustrie, oder die zahllosen Patientinnen und Patienten, die sich unter das Messer legen, um ihre vermeintlich fehlerhaften, ungenügenden oder nicht zeitgemäßen Körpermerkmale richten, bzw. korrigieren zu lassen. Was für eine armselige, materialistische Auffassung eigentlich, man müsse seinen eigenen Körper und sein Gesicht verschönern oder verbessern. Oder man/frau müsse sich tunen, um auf dem Markt der Eitelkeiten bestehen zu können. In letzter Konsequenz so einer Denke geht es dann schon krass nur noch um die Erfordernisse und Normen von Castings, Modelagenturen, Medienhypes sowie den menschenfeindlichen, weil charakter- und subjekt-feindlichen Maßstäben der Glamour- und Pornoindustrie.

Kalkulieren vor allem junge Mädchen wirklich, sich in solchem Maße umbauen, umgestalten, auseinander nehmen und sich wieder zusammen flicken zu lassen, wie es in Fernsehsendungen dargestellt wird? Wie kommen sie nur auf die Idee, sie müssten den perversen Erwartungen und Ansprüchen ihrer Eltern oder Partner gerecht werden, oder es würde ihre Attraktivität (sprich: ihren Verkaufswert) auf dem Markt erhöhen, wenn sie sich gemäß eines vermeintlichen Schönheits-Ideals oder vermeintlicher Ästhetik-Normen anpassen. Anpassung, darum geht es, wie schon bei archaischen Beschneidungsritualen, Anpassung an die Gruppennorm, durch Straffung, Glättung, Vergrößerung, Optimierung, besser, härter, praller, strammer - geiler!

Für mich fängt Schönheit erst an mit einzigartigen Merkmalen, dem Besonderen, dem individuellen, auch dem gebrochenen (durch Leid und Erfahrung gebrochenen) Subjekt der Sinnlichkeit und Reife. Unvergessliche Gesichter und Körper, die sich eingeprägt haben aufgrund ihrer Anmut, ihrer Demut und Scheu, ihrer Freude und ihrem Mut, ihrer ureigenen Wollust und unteilbarem Erleben gemäß, sich mir genähert und hingegeben haben. Hängetitten fassen sich doch viel erregender an als aufgepumpte Plastikmöpse, mein nicht beschnittener, schlanker Penis ist viel feinfühliger und eleganter als so eine Fleischwurst, die den Frauen wohl möglich noch Angst macht...

Schönheit liegt bekanntlich eher im Auge des Betrachtenden und weniger im gelifteten und gepiercten Gesicht des Models. In meinem Auge liegen Tränen ob der Schönheit einer natürlich wachsenden, wollüstigen und wuchernden (Wet-)Welt, als in der aseptischen, kalten, künstlichen Welt der Prothesen, Produkte, Statistiken und Normen. Wenn wir den Neuro-Wissenschaften Glauben schenken, hängen ästhetisches Empfinden und Schönheit mit unserem inneren Belohnungssystem zusammen. Schönheit, hieße es da wohl, liegt im Warenkorb des Konsumenten.

 

Schönheit wäre dann eher die Suche/Sucht oder Gier, auch etwas besitzen/erleben zu wollen, das auch alle anderen haben oder worüber sie verfügen können. Mit dieser Art von Schönheit verbunden ist immer die Aussicht, sich das Objekt der Begierde auch einzuverleiben, es zu besitzen, zu gebrauchen damit zu spielen, so wie alle Norm auch die Erfüllung eines angemessenen Mindeststandards bei der Erfüllung der Wünsche, bei verschiedenen vorhandenen Größen, garantiert.

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