Penis und Pinsel - "Kunst-Geburten" bei Ulrich Pfisterer

22.07.2016 13:10

Penismaler Tim Patch alias Pricasso

Das Metaphernpaar Penis und Pinsel bildet eine gestalterische Wurzel der erotischen Kunst und mithin aller künstlerischer Allegorie und Mimikry. Nach Ulrich Pfisterer, dem Autoren der lesenswerten Studie "Kunst-Geburten. Kreativität, Erotik, Körper" (Wagenbach 2014) ist die auffällige Ähnlichkeit der Begriffe Penis (penis), Pinsel (penellus/penicillus) und Schreibfeder (penna), über die schon der römische Gelehrte Cicero sinnierte, das deutlichste Symbol der künstlerischen Schaffenskraft. Wenn Pietro Aretino 1534 davon spricht, den "Pinsel in das Farbtöpfchen zu tauchen", dann spielt er – wie Pfisterer anmerkt – nicht allein auf die künstlerischen Utensilien an, die es bedarf, ein Ölgemälde zu malen. In seinem anekdotenreichen Essay "Kunst-Geburten" erzählt er, wie das Erotische in der Frühen Neuzeit Eingang in die Kunst fand und damit auch das perfekte Abbild und Spiegelbild des kreativen und schaffenskräftigen Künstlers selbst. Anzügliche Wortspiele wie "den Pinsel ins Farbtöpfchen tauchen" bilden nur den Auftakt zu einer im weiteren sehr vergnüglichen Lektüre durch die Gefilde der erotischen Kunstgeschichte.

 

Bilder entstehen in einem Liebesakt


Häufig lieben Maler neben der Kunst auch das Modell, das sie zur Kunst inspiriert. Für Raffael war die Liebe zu seiner Angebeteten, während er die Villa Farnesina ausmalte, eine unverzichtbare Quelle der Inspiration. Seine Bilder wurden wie in einem wahren Schöpfungsakt oder leidenschaftlicher Liebesakt, als Widerstreit der Urgewalten von (göttlicher) Natur und (menschlicher) Kultur gezeugt.

Der Anblick eines gelungenen Bildes wiederum vermag beim Betrachter Wünsche zu wecken, manchmal auch ein Verlangen, sodass aus Beschauern Kunstliebhaber und Sammler werden. In diesem Kreislauf von Begehren, Zeugung, Geburt und Fürsorge spielt die Erotik eine entscheidende Rolle.

Der an der Ludwig-Maximilian-Universität in München lehrende Kunsthistoriker Ulrich Pfisterer, ein Kenner der Renaissancekunst, interessiert sich in seinem Buch "Kunst-Geburten" für die erotische Aufladung von Bildern der Frühen Neuzeit. Mit kenntnisreicher Lust lüftet Pfisterer den Schleier und zeigt, was in der Kunst passiert, wenn Amors Pfeile ihr Ziel gefunden haben. Dabei wird der Begriff von der "Kunst-Geburt" in seiner metaphorischen Bedeutung wörtlich genommen, wenn Pfisterer auf der Grundlage von zahlreichen Beispielen und unter Verwendung von vielen Abbildungen zeigt, dass Bilder in einem Liebesakt gemacht und in einem Schöpfungsakt gezeugt worden sind.

Kunst-Geburten führten zur Geburt der Kunst

Anzügliche Wortspiele hatten in der Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts Konjunktur. Sie bilden zugleich den Hintergrund für das Bildverständnis eines Artemisia Gentileschi zugeschriebenen Bildes, das den Titel "Die schlafende Malerei im Atelier" (vermutlich aus den 1630er-Jahren) trägt. Die auf dem Boden liegende Malerei, deren Scham von einem Tuch nur flüchtig bedeckt ist, wartet darauf, erweckt zu werden. Die Geste ist einladend, denn sie spielt darauf an, dass ein Bild in einem Liebesakt gezeugt werden soll. Palette und Staffelei stehen noch unbenutzt in unmittelbarer Nähe.

Wäre das Gemälde stattdessen von einer Malerin gemalt worden, "würden weibliche Personifikation der Malerei und Künstlerin sozusagen in eins fallen, die erotische Attraktion der einen Gestalt auch für die andere gelten, das Werben für die Kunst zugleich ein Werben für sich selbst sein."

Für seine These, dass Kunst-Geburten schließlich zur Geburt der Kunst führten, wobei die Hervorbringung (Zeugung) einen wesentlichen Anteil an der Ausprägung und Ausgestaltung der "Schönen Künste" hat, weiss  Pfisterer überzeugend zu entwickeln. Die vielen Bildverweise und eingängige Sprache des Autors lassen die Lektüre des Buches zu einem "einsichtigen", die Gratwanderung zum "Verbotenen" elegant meisternden Vergnügen werden.
 

Ulrich Pfisterer: "Kunst-Geburten. Kreativität, Erotik, Körper",  Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2014, 192 Seiten, 24,90 Euro

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