Kaufleute entscheiden über Sexualwissenschaft
13.06.2013 17:19
„Das ist ein Paukenschlag“, sagt Hans-Werner Picker aus der Geschäftsführung des Zentrums für Integrative Psychiatrie (ZIP) in Kiel. An das ZIP, einer Tochtergesellschaft des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, soll die Sexualmedizin nun angegliedert werden. Diese Idee war im Februar an einem Runden Tisch geboren worden, an dem Vertreter von Universität, Uni-Klinik, AStA und Bosinski selbst teilnahmen. Damals stellte sich heraus, dass die Sexualmedizin in ihrer bisherigen Form im Jahr rund 155.000 Euro kostet, von denen jedoch nur ein geringer Teil durch Drittmittel aus Forschungen wieder herein kam.
In der neuen Form „werden unsere Patienten nicht sexualmedizinisch qualifiziert versorgt“, heißt es in dem Brief Bosinskis an die Leitung der Christian-Albrecht-Universität sowie das Kieler Bildungs- und Wissenschaftsministerium, wie kürzlich die tageszeitung/taz berichtete. Fakt ist: Mit dem Ende der eigenständigen Sektion für Sexualmedizin in Kiel verschwindet ein weiterer Standort der wissenschaftlichen Sexualforschung, die durch Pioniere wie Magnus Hirschfeld, Wilhelm Reich, Volkmar Sigusch, Günther Amendt oder Oswald Kolle, entgegen vieler Widerstände und Repressionen in Deutschland mühsam ermöglicht wurden.
Dass es bei den aktuellen Plänen vor allem um Geld gehe, macht Bosinski unter anderem daran fest, dass das geplante „Konstrukt erkennbar nicht nach einer Expertise in Sexualmedizin, sondern nach Kosten“ bestimmt wurde. Die designierte Leiterin, Aglaja Stirn, hätte eine Stiftungsprofessur inne, die vom Krankenhauskonzern Asklepios bezahlt wird. Sie wird dann im Rahmen der Professur eine festgelegte Zahl von Seminaren und Vorlesungen halten und den Rest der Sexualmedizin am ZIP betreuen.
Zumindest betreut und begutachtet das ZIP bereits Straftäter mit psychischen Störungen, darunter auch Sexualtäter. Für bestimmte Aufgaben hätten beide Organisationen sich bisher Konkurrenz gemacht, so Picker, und das ZIP sei deutlich größer als die sexualmedizinische Sektion, die ab Juli nicht einmal mehr eine Sekretärin beschäftigen kann. Für die universitäre Lehre bedeutet die Abwicklung jedoch in jedem Fall eine Schwächung und Unterminierung der Sexualwissenschaften. Kiel gehörte bislang neben Berlin, Hamburg, Aachen und Heidelberg zu den vier verbliebenen Standorten in Deutschland, an denen dieser Teil der Sozialpsychologie zumindest im Nebenfach studiert werden konnte.