Nacktheit: Schutzbedürfnis und Verführung

18.10.2013 19:04

Brueghel d.Ä. & de Backer - Diana und Aktaion

Der antike griechische Held Aktaion überrascht auf seiner Jagd ("Ich geh Schnecken checken!") die Göttin Diana, wie sie nackt aus einer Quelle steigt. Halb erschrocken, halb gebannt vermag er nicht, den Blick vor ihrer Schönheit zu senken. Als sie den Voyeur bemerkt, bekommt dieser ihren göttlichen Zorn zu spüren. In ihrer Wut und Empörung lässt Diana dem verirrten, verwirrten Manne mächtige Hörner auf seinem Kopf sprießen. Da müssen wir natürlich unwillkürlich an den sprichwörtlich Gehörnten denken, als den um seinen Genuss Betrogenen, dem in seiner Verwirrung aus Scham und Geilheit die verdrängte, unterdrückte Erektion, wie dem Pinocchio eine "Lügennase", als "Blink-Blink" aus seinem Kronen-Chakra wächst. So weit so geil! Doch wird der Arme hier zufällig auf der Pirsch zum Hirsch, von der Göttin der Jagd (der erotischen Eroberung) in einen vermeintlichen "Buhler", ein Triebtier verwandelt, das sich schon viel zu weit aus dem Unterholz, seiner Deckung, hervor gewagt hat. Aktaion wird daraufhin in tragischer Weise von seinen eigenen Bluthunden als Hirsch aufgespürt und zerrissen - der Jäger plötzlich selbst Beute und "zum Abschuss frei gegeben"? Wobei offen bleibt, ob Diana nicht eher die Hunde verhext hat als ihn?

 

So die meisten Mythen oder Märchen Parabeln auf menschliche Beziehungs-Dramen zu sein scheinen, wie Familien-, Geschwister-, Liebespaar-, Buhler-um-Gunst- oder Macht-und-Herrschafts-Dramen - und das oft mit deutlichem erotischen Unterton, so ist auch diese geschilderte Badeszene aus den "Metamorphosen" des Ovid eines der bekanntesten Ur-Dramen der Antike, das eine Dialetik aus Voyeurismus und Exhibitionismus, aber auch subtiler von Verführung und Vergewaltigung beschreibt. Damit gehört dieses Drama zu den viel gemalten Motiven der Kunstgeschichte. Die bildende Kunst hat der Geschichte von Aktaion, seiner Verwandlung und seines Todes, würde ich sagen, immer mit einer gewissen Vorliebe behandelt.

Ein berühmtes Beispiel hierfür ist Rembrandts 1634 fertiggestelltes Gemälde "Das Bad der Diana mit Aktäon und Kallisto", dass wie die meisten Werke, nicht nur eine Paarszene darstellt, sondern ist mit weiteren nackten Dienerinnen (?) um Diana herum angereichert. Der in der Sage enthaltene Widerspruch (zwischen Schutzlosigkeit und Begehren) ist wiederum besonders auf dem Bild von Jan Brueghel d. Ä. und Jacob de Backer ("Aktaion und Diana", 1595) anschaulich dargestellt. Die unverhüllte Göttin wird einem außen stehenden Betrachter dort als glanzvolle Schönheit präsentiert. Der Jäger, dann Gejagde, ist sinnigerweise (anders als in den meisten Äquivalenten), nur als kleiner, unbedeutender Tupfer im Bildhintergrund zu sehen.



Nackheit und Schutzbedürfnis, Neugier und Verführung

Dem entblößten Körper wie auch den Paradoxien seiner Darstellung, meist der Moral geschuldeten Sublimierungen, Auslassungen und Verschiebungen, widmete das Düsseldorfer Museum Kunstpalast 2008 seine mehr als 250 Werke umfassende Ausstellung "Diana und Actaeon". Diese griff das Motiv des verbotenen Blickes im antiken Mythos auf und spannte mit bedeutenden Arbeiten aus Renaissance, Manierismus, Barock, Klassizismus und Moderne einen weiten Bogen bis in die Gegenwart. In zahlreichen Kunstgattungen ließ sich verfolgen, wie die Grenzen der sittlichen Akzeptanz immer weiter herausgeschoben wurden. Zugleich konnte festgestellt werden, dass dem künstlerischen Blick auf den Körper schon immer mehr als nur die bloße Schaulust innewohnte sowie die pure Laune des Nacktseins. Das Spiel der Erotik und ferner des ganzen Lebens dreht sich um Verführung und Eroberung, um Freiheit (Neugier, Nacktsein) aber auch Schutz (Verhüllung, Scheu, Hilfsbedürftigkeit des kleinen, nackten Menschenkindes).

Wo es der Pornografie ums bloße Anstacheln der Sinne geht, sowie um automatische Abreaktion, sucht die Kunst stets auch nach Schönheit, Ergabenheit, Kontemplation und Selbsterkenntnis. In der Renaissance fand sie diese in idealen Körpermaßen, welche Madonnen und Jungfrauen überirdische Schönheit verlieh, eine Kunstauffassung, die bis heute sogar bei den digital nachbearbeiteten Modellen auf den Titelblättern der Zeitungen wiedererkannt werden kann. Der Expressionist Lovis Corinth (1858 bis 1925) konnte dagegen im menschlichen Körper kein göttliches Abbild mehr erkennen und malte dann das der Vergänglichkeit anheim gegebene Fleisch, wie es später von Künstlern wie Francis Bacon und Lucien Freud aufgegriffen wurde, die das Material 'Fleisch' dann bis zur Schmerzhaftigkeit für den Betrachtenden verzerrten und bearbeiteten, wie es der Zahn der Zeit kaum vermag.



Als ich im Museum Lust bekam

Dass Nacktheit sowohl Verführung wie Schutzlosigkeit bedeuten kann, darüber hinaus aber auch viel über das Geschlechterverhältnis von Mann und Frau und ihrem Wechselspiel aus Herrschaft und Macht erzählt, ahnte das Publikum dieser wunderbaren und die Zeitlosigkeit klassischer Kunst zelebrierenden Ausstellung nicht nur, es sah und mochte es aufgrund all des Protzes, all der Pracht fast haptisch, sinnlich genießen können. Bei dem berühmten Gemälde Eric Fischls, "Bad Boy" von 1981, beispielsweise, das einen Jungen bei der Beobachtung einer erwachsenen, nackten und wollüstigen Frau (seiner Schwester? seiner Mutter?) zeigt, konnte ich auch nicht verhehlen, dass ich bei seiner Ansicht eine deutliche Erektion bekam. Die Bilder des malenden Sonnenanbeters Fidus (1868 bis 1948) wiederum dienten weniger der Lusterzeugung, als vielmehr der Kontemplation über die Beschränktheit und Befreiung des Menschen. Hier wird die Kunst der FreiKörperKultur, wie sie später im DDR-Regime weiter gepflegt wurde, zum Medium der Befreiung, ja, zur körperlichen Revolution hoch stilisiert.

Trotz seiner thematischen Vielfalt verfolgt der Verdacht der Libertinage, des Anrüchigen und Verschlagenen, das erotische Kunstwerk bis heute wie ein Schatten. Zwar mag es kaum noch Darstellungstabus geben (oder wieder im zunehmenden Maße doch), die alte Frage, was unbefugten Blicken besser verborgen geblieben wäre, ist in der Kunst weiterhin aktuell und virulent. Dabei verweist die Geschichte von Aktaion und Diana ganz besonders, und in aller gebotener Deutlichkeit, auch auf das Drama der Vergewaltigung, in dem sich die Dialektik, der Widerspruch zwischen Schutz und Verführung, deutlich zeigt. Nicht nur bei den jüngsten Vergewaltigungsfällen in Indien, sondern auch bei vielen hiesigen Gerichtsstreitigkeiten zeigt sich, dass meist die Argumente "Er hat meine Hilflosigkeit ausgenutzt" sowie "Sie hat mich verführt" gegeneinander ins Feld geführt werden und dann Aussage gegen Aussage steht.

 

Hetzjagd und Freiwild

In patriachal ausgerichteten Gesellschaften wie in Indien, Arabien, aber auch in Europa, wird der Angeklagte allzuoft vom Vorwurf der Vergewaltigung frei gesprochen, trotz oft äußerster Brutalität, weil er angeblich verführt wurde. Das ist natürlich eine Perversion und Diskriminierung sondergleichen, denn dass Männer sich ihr Recht auf eine Frau, unter Zuhilfenahme ihrer größeren Stärke, Jahrhunderte lang unhinterfragt heraus genommen haben, sollte eigentlich klar sein. Männer - Buhler wie Nebenbuhler - sehen den öffentlichen Raum allzuoft als ihr Revier an, in welchem sie dann auch fleissig wildern und erobern und jagen gehen. Eine Frau, die sich in diesem, dem Mann eigentlich vertrauten Gelände (soviel zum Zufall) bewegt, ist das sprichwörtliche Freiwild, das zur Strecke gebracht werden kann. Dass jene Vergewaltiger dann auf der Straße vor Kameras, in aller Öffentlichkeit, von einem wütenden Mob (den Bluthunden) gelyncht und zerrissen werden, ist eigentlich kein Wunder (etwa Fügung?), wo diese Vergewaltigung doch unter aller Augen im Bus geschah.

Was kann, darf? Mitnichten! Der zwischen Anspruch und Wirklichkeit hin und her gerissene Mann findet seine Erfüllung und Erkenntnis sicher eher in seiner vermeintlichen Rolle als Beschützer (Aktaion hätte gleich kehrtmachen sollen, um Dianas Badeteich weiträumig mit Gaffa-Tape gegen mögliche Gaffer (Nebenbuhler) abzusperren), denn als Eroberer. Diana als Göttin hat das Schicksal real werden lassen, das jeden wie ein tödliches Spiegelbild trifft, der Gewalt als sein Mittel zum Zweck gegen andere einsetzt. Da es immer noch um die Befreiung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit (Kant) geht, ist Freiheit zuallererst die Freiheit des Andersdenkenden (R.v. Luxemburg) und darüber hinaus ist jeder Mensch frei, etwas nicht zu tun, es einfach zu lassen.

 

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