Das nackte Leben in Münster

22.11.2014 12:39

Euan Uglow - Die Diagonale

Während die meisten Künstler der Nachkriegszeit den Abstrakten Expressionismus feierten, hielt in London ein kleiner Kreis um Maler wie Francis Bacon, Lucian Freud oder David Hockney der figurativen Malerei die Treue. Erst Jahrzehnte später sollte sich der große Erfolg und nachhaltige Einfluss dieser Kunstszene auf die Kunstwelt heraus kristallisieren, wie die ehrgeizige Ausstellung "Das nackte Leben. Bacon, Freud, Hockney und andere. Malerei in London 1950-80" im Westfälischen Landesmuseum Münster (LWL), eindrucksvoll belegt. Dabei steht der Name der Ausstellung nicht für nackte Haut, sondern im Übertragenen für das Unmittelbare und die Wahrhaftigkeit der Künstler. Sinnbildlich dafür ist Euan Uglows (1932-2000) Gemälde "Die Diagonale", entstanden zwischen 1971 und 1977.

 

Den Titel der Ausstellung "Das nackte Leben" will der Münsteraner Museumsdirektor Hermann Arnhold nicht missverstanden wissen. "Das hier ist keine Heidi-Klum-Parade, hier geht es um Echtheit", sagte er zum Auftakt der ersten Sonderausstellung seines Hauses. Die erste große Ausstellung im wieder eröffneten Museum widmet sich der figurativen Malerei in London mit Arbeiten von unter anderem Francis Bacon, Lucian Freud, Frank Auerbach, Leon Kossoff, David Hockney und Richard Hamilton. Rund 100 Arbeiten von fünfzehn Künstlern zeigen in großem Umfang den künstlerischen Dialog auf, der in London ab den 1950er Jahren begonnen hatte und über drei Jahrzehnte andauern sollte.

Das Primat der gegenständlichen vor der abstrakten Malerei

In den großen Räumen des Neubaus wird die Ausstellung das Schaffen der Künstler aus den frühen Jahren an den Londoner Kunsthochschulen bis hin zu späteren Produktionen, die noch immer die heutige Kunst beeinflussen, zeigen. Porträts, Aktdarstellungen, Interieurs und Stadtansichten werden chronologisch präsentiert, beginnend mit der Situation in London in den 1950er Jahren, um so die außergewöhnliche Neuerfindung der figurativen Kunst zu präsentieren.

Obwohl es sich hierbei um eine Gruppe von Künstlern mit internationalem Rang handelt, sind einige der Künstler dem deutschen Publikum noch wenig vertraut. Ihr Hauptanliegen war es, die Lebenssituation, die sie umgab, künstlerisch zu reflektieren. Diese schien – noch immer beeinflusst durch die Folgen des Krieges – zugleich prekär und aufregend.

Die mutige und kraftvolle Auseinandersetzung der britischen Künstler mit Malerei suchte in Europa und Nordamerika ihresgleichen. Sie beruht auf der bedingungslosen Verpflichtung zum Medium: die Herausforderung neue Ausdrucksformen zu finden und die Fokussierung auf das Motiv, das immer eng verbunden mit den persönlichen Interessen der Künstler ist. Ihre Arbeitsweisen reichten von methodischen Analysen der Realitätsbeobachtungen bis hin zu einer schöpferischen Beschäftigung mit Fotografie und kinematischen Bildern.

Einige der Künstler, wie Richard Hamilton oder Euan Uglow, setzten das Material der Farben sparsam und präzise ein, andere, wie Francis Bacon oder Leon Kossoff, arbeiteten hingegen mit kraftvollen, expressiven Gesten, um ein geradezu körperliches Wahrnehmen des Materials auf der flachen Leinwand zu erzeugen. Unabhängig von ihren unterschiedlichen Techniken und Motiven, war das gemeinsame Anliegen der Künstler, einen innovativen Beitrag zu der Tradition der figürlichen Malerei zu leisten, wobei sie sich explizit von Gemälden der Alten Meister in der Londoner Nationalgalerie beeinflussen ließen.

Sehr viele Dinge in einem einzelnen Pinselstrich

Lucian Freud, der sein Werk als “autobiografisch” verstand, malte fast ausschließlich Familienmitglieder, Freunde und ihm nahestehende Künstler, wie Francis Bacon, Frank Auerbach und Michael Andrews. Freud arbeitete ausschließlich vor dem Modell oder direkt vor dem Motiv. Ab Mitte der 1950er-Jahre veränderte sich Freuds Malweise. Seine Formate wurden größer und sein Farbauftrag lockerer und plastischer. Als Grund dafür nannte er Bacons Einfluss. Die beiden kannten sich seit 1945 und waren lange Jahre befreundet. Bacon sprach zu dieser Zeit davon, “sehr viele Dinge in einen einzelnen Pinselstrich zu legen”. In den frühen 1980er-Jahren begann Freud dann, an großformatigen Werken zu arbeiten – hauptsächlich Akte, die er in seinem Atelier porträtierte.

Die Ausstellung möchte die etablierte Ansicht, dass der amerikanische Abstrakte Expressionismus eine Vorreiterstellung in der Malerei einnahm, hinterfragen. Sie wird Arbeiten zeigen, die äußerst zeitgemäß waren und Phänomene einer neu entstandenen Popkultur sowie der sozialen Veränderungen der 1960er Jahre aufgriffen und kritisch reflektierten. Dies geschah mit so einer Selbstverständlichkeit und einem Mut, dass die Werke auch für die heutige Zeit überraschend authentisch und relevant erscheinen.

"Sie setzen sich mit ihrer unmittelbaren Umgebung auseinander. Sie malten bewusst das, was um sie herum war", sagt Tanja Pirsig-Marshall, die zusammen mit Catherine Lampert das Konzept der Ausstellung entwickelt hat. In sechs Räumen zeigt das Museum Werke, die zum Teil über Jahre entstanden sind und vom Kunstmarkt erst Jahre später entdeckt wurden. 40 Jahre war "Wayne Sleep and George Lawson" von David Hockney nicht in der Öffentlichkeit zu sehen. Der Künstler hatte das großformatige, klarstrukturierte Werk schlicht in seinem Atelier vergessen.

Die großartige, atemberaubende Ausstellung mit den Meistern der figurativen und Aktmalerei sollten Sie nicht versäumen, gesehen zu haben. Nicht so schnell wird es wieder solch eine Ausstellung mit den Hochkarätern der eigentlichen Avantgarde der Malerei der Nachkriegszeit geben. Sie haben noch bis zum 22. Februar 2015 Gelegenheit, diese umfang- und lehrreiche Kunstschau in Münster zu bewundern. Öffnungszeiten des LWL-Museums für Kunst und Kultur am Domplatz 10 in 48143 Münster sind: Dienstags bis Sonntags 10-18 Uhr. Weitere Informationen finden Sie unter: www.lwl-museum-kunst-kultur.de.


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