Kein Bock mehr auf Sex?

10.02.2011 17:52

Franz von Stuck

Nachdem eine japanische Umfrage zum Sexualverhalten veröffentlicht wurde, scheint die postmoderne These, nach der die jungen Generationen immer weniger Lust auf körperliche Sexualität haben sollen, mal wieder eindrucksvoll bestätigt. Der gemäß scheinen junge japanische Männer zunehmend weniger Lust am Sex zu haben. Von der Unlust der Älteren mal ganz abgesehen, und abgesehen von den zahlreichen Meldungen über Kindesmißbrauch und Pädophilie, oder dass junge Menschen einem exzessiven Internet-Porno-Konsum frönen würden, ist es eine offene Frage, ob und warum die sexuelle Bereitschaft in unseren Gesellschaften perspektivisch stark abnimmt.

 

Die Studie des japanischen Gesundheitsministeriums belegt, dass ein Drittel der jungen Männer zwischen 16 und 19 Jahren nicht an Sex interessiert sind oder ihn gar ablehnen. Das wären doppelt so viele wie noch 2008. Nicht nur die ganz Jungen vermeiden den intimen körperlichen Kontakt mit anderen Menschen. 21,5 % der 20-24-Jährigen geht es nicht anders. Ähnlich ist es bei den, vor allem jungen Frauen. Hier haben gar 59 % keine Lust auf Sex, 12 % mehr als 2008. Und auch bei verheirateten Paaren zeigt sich die Tendenz zur Absenz. Hier hatten 40,8 % im Monat vor der Umfrage keinen Sex.

Diese Zahlen betreffen wohlgemerkt die japanische Gesellschaft, aber ähnliche Untersuchungen hat es hierzulande auch gegeben. Einen Zusammenhang mit der geringen Geburtenrate herzustellen, wie es die japanischen Wissenschaftler tun, sollte aber vermieden werden, denn Sex und Reproduktion müssen, wie wir wissen, nicht unbedingt miteinander verbunden sein. Einen deutlichen Zusammenhang gibt es dagegen zwischen sexuellem Verhalten und Medienkonsum. Viele Jugendliche sollen ja ihr sexuelles Wissen über Pornofilme erwerben, was erschreckend ist, denn Pornografie ist ja allerhöchstens ein Abfallprodukt von Sexualität und Erotik.

Bei einem japanischen Kondomhersteller, der sich schon vor Jahren beklagte, dass der Gebrauch der Schutz-und-Verhütungs-Gummis (in Japan) rapide abnehme (von 1980 - 2003 um 43%), wird spekuliert, dass der zunehmende Pornokonsum die Menschen verleite, ohne Präservativ zu vögeln. Allerdings waren sich die Produzenten sicher, dass die allgegenwärtige Pornographie auf allen Bildschirmen und Medien, tatsächlich die Menschen zunehmend von sexuellen Begegnungen der Körper im wirklichen Raum abhält. Dagegen wird immer mehr dem virtuellen, dem Cyber- und damit onanistischen Sex gefrönt. Und damit einhergehend ein wachsener Ekel gegenüber "feuchten, schmutzigen, unreinen Handlungen" festzustellen sei. Das scheint besonders schlimm zu sein, seit es das Breitband-Internet und die Flatrate gibt.

"Man hat ja gelegentlich den Eindruck, dass Sex immer wichtiger und aufdringlicher wird. Das könnte aber täuschen. Möglicherweise dominiert Sex in den Medien, als Möglichkeit und als Versprechen desto mehr, je weniger er im Alltagsleben präsent ist oder Abwehr hervorruft, wenn es Ernst wird. Vielleicht gibt es die Internetsexsucht massenhaft, aber gleichzeitig die massenhafte Prüderie oder Keuschheit. Vielleicht "fixt" die virtuelle Pornografie gar nicht an, wie gerne behauptet wird, sondern verstärkt die Unlust?" (Florian Rötzer in telepolis, 4.2.2011)

In dem Zusammenhang wird oft von einer vierten Sexuellen Orientierung neben Hetereo-, Bi- und Homosexualität geredet. Von der Asexualität. Die mittlerweile seit 2001 im Internet bestehende Plattform "Asexual Visibility and Education Network AVEN" hat es sich zum Ziel gesetzt, "einen Dialog zwischen und über die schnell entstehende Gruppe von Individuen, die sich als asexuell definieren, ins Leben zu rufen." Und sie fordern ihr Recht auf sexuelle Abstinenz.

Die Asexuellen legen Wert auf die Feststellung, dass sie nicht krank sind, sondern einfach keine Lust am sexuellen Kontakt zu anderen haben. Das reizt sie überhaupt nicht und bis vor kurzem hielten sie sich für seltene Einzelfälle. Sex steht immer wieder im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit und eine ganze Industrie profitiert davon, dass Menschen bereit sind viel Energie und Zeit aufzuwenden, um an sexuelle Befriedigung zu kommen. Für die meisten von uns mag es deshalb unvorstellbar sein, dass unter uns Asexuelle leben, Leute ohne sexuelle Bedürfnisse. Aber mit einer tausende Jahre währenden Unterdrückung, Tabuisierung und Repression der Erotik und Sexualität, ist es eigentlich auch kein Wunder, dass sich asexuelle Kulturströmungen weiter ausbreiten, die mit dem freudschen Sexus nicht mehr viel zu tun haben wollen.

Und was den Zusammenhang zwischen Sex und Reproduktion anbetrifft, auch dafür haben Forschung und Technik schon längst die Patente parat. Künstliche Befruchtung ist die Option für diejenigen, die noch Nachwuchs haben wollen, ohne deswegen Geschlechtsverkehr betreiben zu müssen. Und das Kind austragen können ja auch Leihmütter, solange es noch keinen künstlichen Uterus gibt.

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