Die lüsternen Blüten der Georgia O'Keeffe
31.01.2022 22:44
Die Kunstwerke zeigen eine Malkunst, die pflanzliche Natur unter die Lupe nimmt, sie einem technischen Blick unterzieht, der immer auch mit Sinnlichkeit gepaart ist. Nein, es ist nicht der Blick einer Wissenschaftlerin durch das Mikroskop, der diesen Bildern Pate gestanden hat, sondern viel eher die Wahrnehmung einer malenden Fotografin oder einer fotografierenden Malerin, die mit ihrer Kamera einen präzisen Ausschnitt wählt und mit ihrem Objektiv die relativ kleinen Erscheinungen der Natur dann ins Riesenhafte vergrössert.
Die 1887 geborene Künstlerin, die in ärmlichen Verhältnissen auf einer Milchfarm in Wisconsin aufgewachsen ist, arbeitete, lehrte und studierte zuerst Kunst in Texas, South Carolina, Illinois und Virginia. Sie hatte ihre Lehr- und Wanderjahre hinter sich, als eine ihrer Freundinnen in New York am Neujahrstag 1916 dem legendären Fotografen und Galeristen Alfred Stieglitz ihre abstrakten Kohlezeichnungen zeigte. Stieglitz war begeistert und rief erfreut aus: "Endlich eine Frau auf Papier (Finally a woman on paper)."
Mit den abstrakten Kohlezeichnungen und anderen Arbeiten aus den 1910er-Jahren beginnt der erste Saal dieser grossartigen Ausstellung bei Beyeler. Hier bekommt mensch eine eine Vorstellung davon, was sich in den Werken dieser Künstlerin, die 99 Jahre alt werden sollte, abspielen wird. Zu sehen sind abstrakte Formen, schneckenförmige Gebilde, der Blick aus einer dreieckigen Zelttür, die den Nachthimmel rahmt, sowie wolkige Aquarelle, in denen Landschaften zu Farbe und Form gerinnen.
O’Keeffe verbrachte die ersten Jahre ihrer künstlerischen Entwicklung in der Metropole New York. Sie hatte in Alfred Stieglitz, der mit seiner großen Galerie 291 an der Fifth Avenue die Kunst der europäischen Moderne propagierte, einen einflussreichen Förderer, grossen Bewunderer und zwanzig Jahre älteren Liebhaber, der sich nicht nur für ihre Kunst erwärmte, sondern unzählige Aktfotos von ihr machte, die er dann auch ausstellte. 1924 heirateten die beiden.
Die von Theodora Vischer kuratierte Ausstellung bei Beyeler widmet dem Bild von dieser schönen und eigenwilligen Künstlerin, die für viele auch eine modische Stilikone war, einen ganzen Raum. Es gibt wohl keine Künstlerin des 20. Jahrhunderts, die die Sehnsüchte und Mythen der USA mehr durchdrungen hat als Georgia O’Keeffe. Die Wolkenkratzer New Yorks, die Weite des Landes, die Schönheit der Himmel, die Kargheit der Wüste, der Reichtum an Farben und die von der Sonne ausgebleichten Knochen der Rinder, die sie bei ihren Wanderungen durch die Landschaft New Mexikos sammelte, prägen ihre Bilder und sprechen vom Stolz auf das Land, vom Traum des Going West und dem Willen, der Herausforderung der Natur zu begegnen.
85 Ölgemälde, Zeichnungen und Aquarelle sind in Riehen zu sehen. Die allermeisten stammen aus den USA, weil sich in den dortigen Privatsammlungen und Museen auch die meisten Bilder dieser Ikone der amerikanischen Moderne befinden. Entstanden ist die Show übrigens in Zusammenarbeit mit dem Centre Pompidou in Paris, dem Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid und dem Georgia O’Keeffe Museum in Santa Fe. Dadurch konnten die europäischen Museen die Transportkosten der Bilder durch drei teilen. Die Koproduktion macht also auch unter ökologischen Gesichtspunkten Sinn.
Die Ausstellung dauert vom 23.1. bis zum 22.5.2022. Es gibt einen Katalog zur Ausstellung.
www.fondationbeyeler.ch