Skandal! Facebook zensiert Michelangelo

06.01.2015 22:54

Olona Edition - Psalm 1

"Deine Werbeanzeige wurde abgelehnt, weil das Bild nicht unseren Werberichtlinien entspricht. Werbeanzeigen dürfen keine übermäßig sexualisierten Bilder einsetzen, den Eindruck von Nacktheit erwecken, viel Haut bzw. Dekolleté zeigen oder sich unnötigerweise auf bestimmte Körperteile konzentrieren. Dies gilt auch für die Bilder auf deinen Seiten." So antwortete Facebook auf die Frage des Nutzers, warum denn ein Klassiker der Renaissance - Michelangelos berühmte "Erschaffung des Menschen" - als anstößig, bzw. als Pornografie zu werten sei. Wir finden es natürlich relativ amüsant, dass ausgerechnet ein beliebtes religiöses Motiv aufgrund seiner Sinnlichkeit und Erotik der Zensur zum Opfer fällt, gehören Religion und Ideologie doch sonst zu den eifrigsten Triebaustreibern und geifernen Häschern und Einäscherern unsittlicher und unzüchtiger Kulturerzeugnisse nicht nur der erotischen Kunst.

 

Der aktuelle Hintergrund: das Bild "Gottvater erschuf den Menschen" von Michelangelo ziert das Cover des im Olona Edition-Verlags erschienenen Werkes "Psalm 1 - Die Wege Gottes und der Menschen" - wenn auch mit kleinen Änderungen. So wurde das Antlitz Adams verändert - er dreht sich hier von Gott weg. "Mit Pornografie hat das aber nichts zu tun" meint Eckehard Bamberger, Religionsphilosoph und Verfasser des Werkes, "Ich wollte damit die Abkehr des Menschen von Gott symbolisieren."

Verfasserin der Facebook-Anzeige jedenfalls ist eine gewisse "Michelle". Der Verdacht drängt sich allerdings auf, dass hier nur ein Computerprogramm "vermenschlicht" wird. Dies wäre immerhin eine Erklärung für die absurde Zensur, wenn auch eine sehr Besorgnis erregende. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass Meisterwerke der Kunstgeschichte der Facebook-Zensur zum Opfer fallen. Gustave Courbets berühmtem Gemälde "Ursprung der Welt" wurde diese zweifelhafte Ehre vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls zuteil.

Kunstbanausen!", möchte ich aufschreien. Einmal mehr begibt sich Facebook ins Kreuzfeuer moralinsaurer Kritik. In gerechtfertigter Weise? Wie bigott ist es denn, wenn einerseits Gewalt verherrlichende Hassprediger oder umsatzgeile Girlie-Verführer ungesühnt bleiben, das große fragwürdige Tabu von Nacktheit und Erotik dagegen weiterhin erbittert verteidigt wird? Wie weit darf Zensur gehen? Wie mächtig und manipulativ ist Facebook wirklich? Wer entscheidet über Fragen der Ethik und Ästhetik? Findet vor dem Verbot eine echte Evaluierung statt oder entscheidet ein Computerprogramm über Gut und Böse? Nur einige von vielen Fragen, die sich nun wieder aus gegebenem Anlass stellen.

 

Zensur - das Antiafrodisiakum der Meinungsfreiheit


Da es eine allgemein sehr ernst zu nehmende Bedrohung für ein ein offenes, freiheitliches Internet darstellt, wenn immer mehr Mustererkennungs-Software das Netz nach zu beanstandenen Bildern, Seiten und Texten durchsucht, um diese dann im Zusammenhang mit immer strengeren Gesetzen und Konmtrollmechanismen zu sperren und gar zu löschen, müssen solcherlei Vorkommnisse unermüdlich aufgedeckt und vereitelt werden. In der Regel wird das beanstandete Bild aus dem Profil genommen. Die Teilnahme an der Internet-Community ist den Usern natürlich letztlich wichtiger, als die aufmerksamkeitserregende Bebilderung ihres Profils.

Dass die Galerie Liebreiz wohl nie über einen Facebook-Account verfügen wird, auch wenn das unter dem Gesichtspunkt eines erfolgreichen Marketings kontraproduktiv sein könnte, ist für mich keine Frage. Abgesehen davon, das auf unserer Seite die zu beanstandene Nacktheit gleich dutzendfach präsentiert wird, und das eben mit dem Wunsch und Willen, der herrschenden Pornografie und dem voyeuristischen Fotoeskapismus der Postmoderne etwas artifizielles und substanzielles entgegen zu setzen, ist uns der Diskurs über Erotik, Liebreiz, Natürlichkeit und Schönheit zu wichtig, um dem kapitalistischen Verwertungskalkül oder einer rückwärtsgewandten Moraldebatte geopfert zu werden.

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