Eros im Spannungsfeld der Kunstgeschichte

23.02.2015 23:34

Diego Velazques - Venus im Spiegel 1644

Bei den Urkulturen und Stammesgesellschaften, als Eros, Kunst, Sexus und Leben untrennbar miteinander zusammenhingen und die Basis des Gemeinschaftslebens bildeten, stand der Tanz (neben dem Essen) im Mittelpunkt des Zusammenlebens. Beim Tanz, dem Ursprung aller Künste, ist Eros die treibende, alles Leben gestaltende Kraft und integraler Bestandteil des kulturellen Austausches gewesen. Der Tanz diente der Ritualisierung des Alltags und sorgte nicht zuletzt als soziale Funktion für eine erhebliche Ausgeglichenheit zwischen den Geschlechtern. Mit zunehmender kulturelle Ausdifferenzierung innerhalb der sich rasant und expansiv entwickelnden Zivilisationen macht sich immer stärker eine seelisch-kulturelle Spaltung und Spannung innerhalb des ehemals allumfassenden Lebenskontinuums der Gemeinschaft bemerkbar. Ein Jenseits des Eros entsteht jetzt, eine Lebenswirklichkeit, die keine Verkörperung von Trieb, Lust und Leidenschaft mehr darstellt, sondern den Verzicht, die Askese und Sühne predigt, das Diesseits zum Jammertal erklärt und die Erfüllung aller Wünsche in das Jenseits verschiebt, wo als Belohnung für ein gottesfürchtiges, gutes Leben, dann endlich Liebe, Lust und Freude auf einen warten sollen.

 

"Wer will das Höchst' aus Wollust mache, der krönt ein Schwein in wüster Lache, war nicht nur für die derb-sinnliche Zeit des 16. Jahrhunderts eine wohlangebrachtre Morallehre, sondern es gilt für jede Zeit und für jedes Volk, und nicht weniger für jedes Einzelindividuum. Dieser Mahnung muss jedoch als nicht weniger wichtige Erkenntnis noch ein zweiter Satz ergänzend hinzu gefügt werden: dass jede entgegengesetzte Tendenz, die Wollust als das Verächtlichste anzusehen, ebenfalls zu einem kulturhemmenden Resultat führt, nämlich zur schöpferischen Ohnmacht. Auch dieser Satz gilt für alle Zeiten, für alle Völker und für alle Einzelindividuen." (Ernst Fuchs - "Das erotische Element in der Karikatur mit Einschluss der ernsten Kunst", 1908)


Trieb zur Vereinigung und Lebenserzeugung


Da, wie Ernst Fuchs eindringlich belegt, jede kulturelle Äußerung, die wir als schöpferisch zu bezeichnen gewillt sind, dem "Trieb zur Vereinigung und Lebenserzeugung" verwandt ist, sollte der erotische Grundimpuls in der Kunst keinesfalls verachtet oder verkannt werden. Eigentlich ist doch wohl jede Kunst erotisch, in dem Sinne, wie es für Nacktheit und Kunst bei den alten Griechen sogar einen synonymen Begriff gab. Die Verknüpfung von Kunst und Erotik als erotisch motivierter Schöpfertrieb läßt sich kaum eindrucksvoller reflektieren als an dem uralten künstlerischen Sujet 'Maler und Muse/Modell', dem kaum ein Künstler ausweichen konnte (oder wollte). Auch als Sinnbild der idealistischen Vereinigung der Geschlechter zur Zeugung einer neuen Idee

Wie der Philosoph Horst Kurnitzky in "Triebstruktur des Geldes" beschreibt, inszenierten primitive Gemeinschaften schon im Tanz ein grundlegendes Opferritual, in welchem sie Befreiung zu erreichen suchten vom ewigen Widerspruch zwischen dem Wunsch nach Triebbefriedigung und dem Wissen um dessen irdische und gesellschaftliche Beschränkung: "Es sind die tierischen, unproduktiven Leidenschaften, die, obgleich vitale Grundlage der Gesellschaft, doch ständig geopfert werden müssen, um den Fortbestand der Gesellschaft in ihren auf dem Opfertod aufbauenden Grundfesten zu garantieren."

Der Eros der Antike, in der kunstgeschichtlichen Deutung definiert als der Sinn für das Erhaben/Heroische, Hingebungsvoll/Leidenschaftliche, Verführerisch/Reizvolle sowie Natürlich/Schöne, wurde nun allmählich abgespalten und getrennt wahrgenommen von einer nach wie vor unerhörten, unsittlichen, primitiven und schmutzigen Sexualität, welche doch eigentlich das wahre Triebziel (wenn mensch ehrlich ist) eines  erobernden, freiheitlichen, unbekümmerten und schöpferischen Eros sein sollte, der vor allem durch den Archetyp des Künstler verkörpert wird, durch Bacchus, Narziss oder durch den Götterboten Hermes. Der profane Eros der niederen Sexualität lebt dagegen weiterhin die Rolle des leichtsinnigen, animalischen oder gewalttätigen Verführers aus, wie der Göttervater Zeus selber es bei seinen zahlreichen Eroberungen von Jungfrauen erschöpfend zelebrierte. Oder denken wir an Pan, den Flöte spielenden Naturgott, halb Widder, halb Mann, bei dem jede Frau schwach wurde, oder an Adonis, den vom Kriegsgott Ares in Eifersucht ermordeten Geliebten Aphrodites, der später in Rom hauptsächlich von Frauen und Sklaven verehrt wurde, wie der Historiker Jules Michelet beschreibt.


Erhabenes und Schönes versus Verruchtes und Sündiges


Im Einflussbereich des Römischen Reiches haben die Herrschenden früh versucht, ihren moralischen Einfluss geltend zu machen und die Kontrolle über die immer mehr die allgemeine Sittlichkeit gefährdenden Auswüchse des unbändigen Eros zu behalten. Der Lebenstrieb, der nicht verboten werden kann, muss daher definiert, eingeengt, kanalisiert und reglementiert werden, abgesehen davon, dass Eros, Freude und Lebenskunst ohnehin nur Privilegien für die Adeligen, Reichen und Mächtigen darstellten, aber nichts für die Plebeijer, Sklaven und einfachen, unfreien Menschen, die sich fortpflanzten wie die Tiere, ohne dabei Geschichte zu schreiben - oder Kunst zu machen.

Jede Zeitepoche der Kunstgeschichte hat der Erotik eine bestimmte (erweiterte) Bedeutung zugewiesen. Was im 16. Jahrhundert nur Sache wüster Schweine und anderer dummer Tiere war, was allenfalls mit abfälligen Äußerungen weggelacht und verworfen werden konnte, erfuhr in den darauf folgenden Jahrhunderten so manchen Gesinnungswandel. Wechselnde Moden und Etiketten, an den Höfen entstanden und gepflegt, regelten vornehmlich die Sittlichkeit der Völker und sorgten mit grimmiger Unterdrückung aller Menschenliebe zu Gunsten von Agape, der Liebe zu Gott, schon dafür, das Erotik erst gar nicht aufkam, bei den einfachen Leuten - Sie wissen schon, die ärmlichen Lebensumstände und so...

Unter dem religiösen Dogma waren Erotik und Nacktheit überhaupt nicht erlaubt, sie galten als Frevel und Zeichen der Unzucht. Doch jeder gesellschaftliche Kanon, zumal mit Strafandrohungen und Peinigungen erzwungen, forderte Widerspruch und gegenläufige Tendenzen, vor allem bei jenen jungen Künstlern heraus, die stets einen aufmerksamen und wachsamen Blick auf ihre Umgebung und die Mitmenschen geworfen hatten. Die Künstler jeder Epoche, einerseits Spiegel der herrschenden Umstände und Doktrinen, waren und sind anderseits Sinnstifter und Brückenbauer zur Überwindung konventioneller Ansichten, zur Neuschöpfung und Entwicklung ihrer Gesellschaft, genauso wie ihrer ureigenen, subjektiven Welt.


Dogma und Stigma


Eros und Nacktheit waren in der mittelalterlichen Kunst allenfalls im Gewande allegorischer Mythen möglich, und zugelassen war Körperblöße ausschließlich als Attribut göttlicher Nähe und seiner zuteil werdenden Gnade dem 'unschuldig-reinen Menschenkind' gegenüber. Trotzdem bahnte sich der Eros seinen erfolgreichen Weg durch die Kunstgeschichte unaufhaltsam fort. Die Künstler jener Zeit ließen keine mystische Parabel oder religiöse Allegorie ungenutzt, die es ihnen ermöglichte, dem (und ihrem) Eros Geltung zu verschaffen. Die Spätrenaissance pries diesen, noch verschämten, allegorischen Eros in Form überirdischer, göttlicher und himmlischer Schönheit sowie einer natürlichen Sinnlichkeit, die Ausdruck der einzigartigen Schöpfung Gottes war. Die Werke Michelangelos, Raffaels, Tizians, Tintorettos oder Leonard da Vincis bilden dabei bis heute die analytisch-materialistischen Grundlagen der abendländischen Kulturgeschichte, auf ihre ewigen Suche nach Auserwähltheit und Originalität, nach Einzigartigkeit sowie weiteren vorüglichen und unverwechselbaren Merkmalen.

Zur Zeit des Barock erreichten die Künstler durch perspektivische Verkürzungen außerordentliche Tiefenwirkungen und weiteten die Bildräume illusionistisch aus. Ein bewegungsreicher Figurenstil entstand. Kontraststarke Farben und die Betonung von Licht und Schatten waren außerdem für die Malerei des Barocks kennzeichnend. Hauptthemen waren dabei die Darstellung des Göttlichen sowie verstärkt des Profanen (Weltlichen), außerdem Historienbilder und die Mythen der Antike. Exemplarisch für diesen künstlerischen Aufbruch könnte Caravaggio (1571-1610) stehen, der mit 'Bacchus' (1593) und 'Amor' (1602) auch grandiose Frühwerke erotischer Darstellung schuf, oder Diego Velázquez (1599-1660) mit der 'Venus vor dem Spiegel' (1651) sowie Peter Paul Rubens, der mit den sprichwörtlichen üppigen Frauenfiguren wie 'Jupiter und Kallisto' (1613), Venus und Adonis' (1615) oder 'Das Pelzchen' (1638) ebenfalls unsterbliche Ikonen der erotischen Kunst schuf.

Die Malerei des Klassizismus entwickelte sich ab der Hälfte des 18. Jahrhunderts als Gegenbewegung zu den Strömungen des Barock und Rokoko. Im Zeitalter von Vernunft und Aufklärung wandte sich der Klassizismus gegen dort sich entfaltende Sinnlichkeit. Klassizistische Werke zeichnen sich durch eine einfache und klare, gelegentlich auch strenge Formensprache aus. Als Ziel galt, durch Maß und Harmonie eine „vollkommene“, die Natur idealisierende Schönheit hervorzubringen. Die Kunstwerke sollten schön, edel und erzieherisch sein. Herausragende Künstler dieser Epoche waren William Blake, Jean-Léon Gérôme ('Hahnenkampf' 1846 oder die Skulptur 'Tanagra' 1890), oder Jean-Auguste-Dominique Ingres (1780-1867) ('Die Badende von Valpincon' (1808),  'Die große Odaliske' 1814 oder 'Das türkische Bad' 1863). Die Künstler überführten nun das klassische Schönheitsideal aus den himmlischen und göttlichen Sphären in das irdische, weltliche Reich, das die Stellvertreter Gottes auf Erden inzwischen aus Üppigkeit, Prunk, Protz Kolonialismus und Sklavenhandel errichtet hatten.


Klassizisten, Pietisten, Symbolisten


1848 schloss sich eine Gruppe von Malern zu den Präraffaeliten zusammen. Sie suchten sich vom formalisierten Neoklassizismus der Royal Academy of Arts zugunsten eines natürlichen, ausdrucksstarken und detailgetreuen, an Mittelalter und Renaissance angelehnten Stils, zu lösen. Die Präraffaeliten Dante Gabriel Rossetti, William Holman Hunt, John Everett Millais und später Edward Burne-Jones gehörten ab den 1860er Jahren zu den bewundertsten Malern Großbritanniens. Auf ihren züchtigen, prüden und sittenstrengen Gemälden herrschte jedoch weitgehend ein proletarisches und erotisches Bilderverbot.

Das half jedoch dem entstehenden republikanischen Bürgertums und dem Adel, sich quasi als neue Gesellschaftsschicht im öffentlichen Raum zu positionieren, zu etablieren und die Kunst aus der Einflusssphäre der Kirche in die Sphäre der Museen, Kulturpaläste und Universitäten zu überführen, die überall in Europa entstanden. Da Kontemplation und Kunstgenuss bislang exklusiv nur Kirche, Adel und bestenfalls Hofstaat zustanden, nicht jedoch dem gemeinen Volk (genausowenig wie sonstige Freuden und Genüsse des ausschweifenden Lebens), entwickelte sich aus der künstlerischen Gegenbewegung heraus, die im wesentlichen in Frankreich auf sich aufmerksam machte, immer deutlicher eine individualistische Bild- und Formensprache, für die exemplarisch Vincent van Gogh steht, aber auch die Impressionisten wie Paul Cézanne, Auguste Renoir sowie - ganz bedeutsam für die erotische Kunst - Édouard Manet, die mit ihren subjektiven Eindrucks- und Stimmungsbildern den Grundstein zur Kunst der heraufziehenden Moderne bildeten.

In der gleichzeitig sich entfaltenden Frühphase des Realismus, als dessen Hauptvertreter Gustave Courbet aber auch Théodore Géricault oder Jean-Léon Gérôme gelten können, waren viele Künstler auf der Suche nach der wirklichkeitsgetreuen (aber damit auch Leid abbildenden) Darstellung sowie der seelischen, selbstreflektierenden Tiefe, die ein Kunstwerk ausdrücken müsse. Die Spielart des Symbolismus wandte sich dabei sowohl gegen die naiven Vereinfachungen des Naturalismus als auch gegen die verklärte Schwärmerei der Romantik. Diese erneute mystische Hinwendung innerhalb des Ralismus sah die Welt und ihre Erscheinungen nur als Symbole einer tieferen Wirklichkeit, und die Kunst als intuitive Mittlerin zwischen diesen Ebenen. Exemplarisch stehen hier Franz von Stuck, Gaustave Moreau oder Ernst Fuchs. Mit den neuen Perspektiven, die der unbändige Eros eröffnete, welche in der Romantik, im Symbolismus, im (phantastischen und sozialen) Realismus bis hin zum Impressionismus, entwickelt wurden, explodierte dann förmlich die individualistische Kunst, in welcher der Eros zu einem integralen genuinen Bestandteil des künstlerischen Blickes auf die Welt sowie zum Movens und Agens jedweder künstlerischer Äußerung heranwuchs.


Konstruktion des Egos, Dekonstruktion des Eros


Bis sich im Zuge der sozialen, politischen und religiösen Dekonstruktion der Moderne, eine deutlich schärfere Trennung von Eros und Sexualität heraus kristallisierte, sowie die Veröffentlichung und Erforschung rein subjektiver, unbewusster Bildersprachen und Symbolwelten, die vor allem die zunehmende Entfremdung des schöpferischen Menschen, mithin seine existentialistische Angst und Einsamkeit ausdrückend, thematisierte, während zum anderen die (zunehmend) gottlose und damit lieblose Anspruchswelt außerhalb des Subjekts ihre erschreckende, monströse Gestalt und Gewalt errichtete und manifestierte. Beispiele dafür finden sich in den modernen Kunststilen des Dadaismus und Expressionismus, des Surrealismus, der Abstraktion, der Aktionskunst und der Pop Art zuhauf. Aber das ist eine andere Geschichte.

"Jede Zeitepoche hat der Erotik ihren bestimmten Stellenwert zugesprochen", beschreibt der Brockhaus die künstlerische Wandlung des Eros. "Erhöhtes Ausmaß gewinnt die Erotik, wenn einerseits die unmittelbare sexuelle Befriedignung durch gesellschaftliche Normen eingeschränkt wird, oder andererseits bereits verfeinerte gesellschaftliche Formen ihr einen breiteren Spielraum gewähren." Die Folgen der in der Gesellschaft immer offener zutage tretenden Erotik und Sexualität ist nicht nur eine Zunahme und Verfeinerung des künstlerischen Aneignung und Antizipation, sondern leider vor allem die skrupellose Geschäftemacherei mit der Sexualität sowie die seelische Entwurzelung des Einzelnen, von der die Kunstwerke des 20. Jahrhunderts zunehmend zeugen.

Die sogenannte ziviliserte Welt hat die Erotik (zumindest theoretisch) zwar hinsichtlich einer geistig-seelischen Ausdifferenzierung und Entfaltung geschlechtlicher Aspekte verfeinert, aber die materiellen Ausformungen und Erscheinungen der Sexualität wurden einem knallharten, ökonomischen Verwertungsinteresse unterworfen, das heutzutage in erster Linie Sexyness auf allen Kanälen bedeutet. Hier stellt sich die Frage, ob hinter dem Zivilisationsanspruch und der Gepflogenheit, überhaupt einer Unterscheidung von Eros und Sex das Wort zu reden, nicht immer auch eine Angst vor der Gewalt physisch animalischer Urtriebe und der anarchischen Macht einer ungezügelten Sexualität mitschwingt. Nach den pornografischen Eskapaden und Masturbationsorgien des ausgehenden 20. Jahrhunderts jedenfalls verspürt der postmoderne Eros wieder die unbestimmte, vage Sehnsucht nach einer Erotik der Kontemplation, nach Einssein trotz der Zersplitterung, nach Einkehr und Geborgenheit, einer gesunden, sanften und komplexen Erotik und einer Tantra-Kunst, die sich die Entfaltung und Veredelung unseres allzumenschlichen Potentials, was die Liebe hervorruft, widmet.

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