Das Boterosutra in Rorschach am Bodensee

01.06.2015 14:11

Fernando Botero - Boterosutra

Vielen dürfte der Maler Fernando Botero durch seine zahllosen Figurationen dicker, üppiger Personen und die Darstellung eines (nicht minder prallen und proportional überzeichneten) menschlichen Lebens in allen seinen Facetten bekannt geworden sein. Bereits Ende der 50er-Jahre hatte der 1932 in Medellin in Kolumbien in bescheidenen Verhältnissen geborene Botero seinen unverwechselbaren Stil gefunden, der ihn zu einem der berühmtesten Bildenden Künstler Lateinamerikas werden ließ. Seine Dicken bevölkern mittlerweile viele Museen der Welt und hängen nicht nur als große, farben- und formenprächtige Gemälde in Galerien, sie besetzen als übermenschgroße Skulpturen, auch als Tiere oder mythologische Figuren, Plätze und Parks von St. Petersburg bis Singapour. Nun ist von Botereo ein Gemäldezyklus zum Thema 'Die Liebeskunst des Kamasutra' entstanden, selbstironisch als "Boterosutra" betitelt, der noch bis Anfang September in Rorschach in der Schweiz am Bodensee zu sehen ist.

 

Dick ist schön


Die Kunst des Fernando Botero verfügt über eine sehr spezielle Charakteristik. Alle seine Figuren sind dick – sehr dick. In seiner Ästhetik sind dicke Menschen schön. Somit bilden seine Bilder dicke Menschen ab: Könige, Soldaten, aber auch Tänzerinnen und Toreros, die man eher mit dünnen Figuren assoziieren würde. 1977 schuf er beispielsweise eine Variation von Leonardo da Vincis Mona Lisa mit kugelrundem Gesicht. Auf diese Art und Weise steigert er die sinnliche Präsenz seiner Figuren, ein Stilmittel, das fortan zum prägenden Gestaltungsmerkmal von Botero wird. Seit 1976 widmet er sich mehr und mehr der Skulptur. Auch hier finden sich die für ihn wichtigen Themen wieder: die sinnlichen Formen, der Umgang mit Volumen und die technische Perfektion.

 

Fernando Botereo, der sich seit seiner Kindheit intensiv mit Kunstgeschichte, Theorie und Tradition der Kunst auseinander gesetzt hat, und von Rubens bis Picasso viele andere Maler erforschte und variierte, verarbeitet selber unablässig die Struktur des Raumes und die Präsenz der Form. Boteros Gemälde leben von der Spannung, die sich durch den Gegensatz der Üppigkeit der menschlichen Figuren und der gleichzeitigen Reduktion der Details aufbaut. Diese Reduktion verortet die Malerei Boteros sowohl bei den modernen Naiven wie ebenso bei klassizistischen Positionen.

 

Körperlichkeit und Sinnlichkeit


Das Hauptthema seiner Kunst, Körperlichkeit und Sinnlichkeit in malerischer wie plastischer Gestalt darzustellen, ist nun nicht grundsätzlich neu oder originell, sondern gehört zum Repertoire der Kunst seit ihrem Anbeginn. Schon Boteros Frühwerk weist aufgeblasene Figuren von barocker Körperlichkeit oder Stillleben mit riesigen Früchten auf, die in ihrer provokativen Übersteigerung dennoch meist eine erstaunliche Leichtigkeit und Fröhlichkeit bewahren. Doch wird die vermeintliche Heiterkeit beim zweiten Blick auf seine Werke brüchig und dunkel, denn Boteros Kunst immer wieder auch politisch motiviert und arbeitet mit mildem Spott oder ironischer Brechung.

 

Das "Boterosutra" ist der jüngste Bilderzyklus Boteros, der sich mit dem Kamasutra, dem "Lehrbuch der Liebeskunst" des indischen Autors Mallanaga Vatsyayana, einem Tempelschüler aus Benares, zwischen 200 bis 300 nach Christi verfasst, auseinandersetzt. Doch wer denkt, dass Botereo hier aufgrund eines besonderen Faibles für die Liebeskunst diese Gemäldeserie schuf, den belehrt der Künstler eines Besseren. In einem Interview mit der Zeitkunst erzählt er, wie er an einem Bildnis einer liegenden Frau gearbeit habe und ihr eine neue Form geben wollte. Als er den Körper eines Mannes dazu gesellte, begeisterte ihn die daraus resultierende, neue Formensprache mehr als die Thematik Akt und Erotik, wie er bei der Eröffnung zur Ausstellung erklärte, wobei seiner Aussage ein gewisses Understatement und eine milde Selbstironie nicht abgesprochen werden sollten:

 

"Meine Absicht bestand nicht darin, ein Handbuch für den Liebesverkehr zu liefern, sondern mithilfe subtilen Modellierens Kunst hervorzubringen. Die Rhythmik der Linienführung und die Leuchtkraft der Formen, die sich mit einem Minimum an Schatten begnügte, sollten die Vorstellung von Volumen und Sensualität hervorbringen."

 

Boterosutra vs. Abu Ghraib


Die Bedeutung des Bilderzyklus "Boterosutra" kann ohne eine andere Werkserie Boteros in Betracht zu ziehen, vielleicht nicht angemessen gewürdigt werden - den Gemäldezyklus "Abu Ghraib". Es empörte Botero, wie amerikanische Soldaten Häftlinge in dem berüchtigten irakischen Gefängnis körperlich erniedrigten und misshandelten, und so prangerte er diese Folterungen 2005 in einer schonunglosen Serie von Bildern an. Damals sagte er dazu, das es sein Ziel sei, "das Bild des Schreckens ins Bewusstsein der Welt einzubrennen, so wie Picassos "Guernica" für immer die Erinnerung an das Bombardement unschuldiger Zivilisten während des Spanischen Bürgerkrieges bewahrt".

 

Das Boterosutra ist geradezu ein Gegenbild zu den Körperschändungen und unmenschlichen Erniedrigungen in Abu Ghraib. Mit Boterosutra befreit sich der Künstler von diesem Albtraum, indem er nun die liebevolle Zuwendung zweier Menschen zueinander zeigt. Nirgends taucht dabei Obszönes oder Schockierendes auf. Es ist ein rhythmisches Spiel zweier Körper, harmonisch, zurückhaltend und friedlich.

 

Ein braves Werk in harmloser Ästhetik

 

Das Forum Würth im schweizerischen Rorschach am Bodensee, wo die rund 70 Zeichnungen, Ölbilder und Marmorskulpturen aus dem Zyklus zu sehen sind, brachte aus "Gründen der Daseinsfürsorge" vorsoglich ein Hinweisschild mit der Aufschrift "Zutritt erst ab 16 Jahren" an, obwohl Kinder sicherlich auch begeistert von diesen lustigen, fluffigen  Bildern wären und wohl kaum in Gefahr gerieten, sich ihre Sitten oder Augen zu verderben. Die Ausstellung wird bei näherer Betrachtung etwaigen Erwartungen an explizite sexuelle Inhalte keineswegs gerecht, wie Werner Spies, Kunstkritiker und ehemaliger Direktor des Centre Pompidou in Paris bei seinem Vortrag ausführte.

 

In seiner ästhetischen und konzeptuellen Zurückhaltung ist es ein eher braves Werk, als wäre es geradezu ein Widerstand der Schönheit und der Kunst gegen eine allgemeine, übersexualisierte und fetischisierte Befriedigungskultur, wie sie der Postmoderne des heutigen Spätkapitalismus eigen zu sen scheint. Das Liebesspiel der wie immer bei Botero massigen Paare ist demgegenüber rührend anzuschauen, sucht die Ausgeglichenheit und Entspannung, wobei aufffällt, dass sich die Liebenden bemerkenswerterweise nie in die Augen schauen.

 

Fernando Botero - "Das Boterosutra" wird noch ausgestellt bis zum 6. September 2015, im Forum Würth im Würth Haus Rorschach, in der Chuerstraße 10, in CH9400 Rorschach. Öffnungszeiten sind immer Montags bis Sonntags 10-18 Uhr. Nähere Informationen bekommen Sie unter: www.wuerth-haus-rorschach.ch


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