Lust an Liebe - Ein philosophischer Essay von Daniel Briegleb
27.03.2015 15:30
Auseinanderfallen von Liebe und Lust
Die zur Einsicht nötige innere Ruhe ist durch den Körper ständig gestört, zitiert er Platon. Gott ist Liebe, Sex ist Sünde, sagen Hippokrates und die Kirche. Die Gegeneinanderstellung von Körperlicher Lust und wahrer Liebe hat in unserer Kultur lange Tradition. Die Übersexualisierung des Eros durch Konsum und Kitsch hat erhebliche ethische und emotionale Mängel erzeugt, die vor allem mit der Entkoppelung der Komplexe 'Lust' und 'Liebe' zusammenhängen. "Sex ist in hohem Maße nicht mehr an Liebe gebunden, Eros droht zu zerfallen", so die nüchterne These zu Beginn von Daniel Brieglebs Beobachtungen unserer gemeinsamen Liebeskultur.
"Lust an Liebe" ist von dem Gedanken getragen, die Bildung von Liebesgegenwart mehr als einen von der unmittelbaren, körperlichen Erfahrung her ausgehenden Prozess zu begreifen. So entstehen Umrisse einer als geschichtlich verstandenen ars erotica, in der Körper, Liebe und Sexualität nicht als voneinander ablösbare Phänomene, sondern als ineinander verwobene Größen eines sinnbildenden Zusammenhangs, eines psycho-sozialen Kontinuums gesehen werden. Die breite gesellschaftliche Streuung sexueller Reize, Bilder und Anspielungen, schreibt Briegleb, erbringt zwar einerseits neue Lusträume, aber auch eine Abschwächung der seelischen Bedeutung der intim-körperlichen Begegnung der Geschlechter. Natürlich können wir auch ohne Sexualität ein glückliches Liebesleben führen, doch ist die Liebesbeziehung so wenig wie noch nie seit der Entwicklung des romantischen Liebesideals, der wichtigste Ort der Sexualität, also verbunden mit ihr.
"Die starke Betonung unseres Gemeinsamen, das Bezogenheit spendet, uns erhält, aus dem heraus sich unsere Beziehung belebt, bewegt und wandelt, ermöglicht sowohl tiefe Verbundenheit als auch jedem Einzelnen ein prinzipielles Feld des Bei-sich-Seins, so dass wir nicht in einen Auflösungssog geraten müssen oder, auf der anderen Seite frustriert werden müssen, weil ein völliges Eins-Werden versagt bleibt. In einem Klima, in dem wir uns als Pole eines inspirativen Zwischen verstehen, generieren Atmungen, Bewegungen, Berührungen, Erinnerungen, Gerüche, Geräusche, Sprache und Laute Resonanazen, und erzeugen einen von Wahrnehmungen und Gefühlen durchdrungenen Beseelungsraum." (Lust an Liebe, S. 65)
Daniel Briegleb sieht die Grundspannung seiner Gedanken zum Verhältnis von Körper, Liebe und Sexualität gespeist aus dem Interesse, das leibliches Erleben im Hinblick auf die Bildung und Formung unserer selbst weiter aufzuwerten sowie Sexualität noch stärker in das Licht jener Größen zu stellen, deren Kompetenz wir gemeinhin einer übergeordneten Liebessphäre zuschreiben. Die Sexualität wird so zu einem für die Partner gemeinsamen Erlebnisraum, angefüllt mit liebevollen, erotischen Sensationen, der es den Liebenden ermöglicht, in dieser unmittelbaren Lebenserfahrung zu lernen und zu wachsen.
Ich ist der Andere - Repräsentanzen des Organischen
Anhand der Kulturgeschichte, etwa der Antike mit Platon, Plotin und Sokrates, anhand des finsteren, lustfeindlichen Mittelalters mit dem repressiven, christlichen Dogma und den asketisch-spirituell abhebenden Mystikern bis hin zu den postmodernen Philosophen Michel Foucault, Jacques Lacan, Peter Sloterdijk oder Julia Kristeva, spürt Briegleb die heranwachsenden Formen und Früchte einer ars erotica auf, die aus echten, ungefilterten, weil anerkannten Bedürfnissen unserer Körper erwachsen und die sich, mittels Lust und Erotik, immer wieder neu auf den Körper des Anderen beziehen.
"Erotisch ist nicht das Reproduzierte, sondern das Unbegangene; nicht das Optimierte, sondern das Offene; nicht das Geplante, sondern das Zufällige. Unbegangen, geheimnisvoll, offen, zufällig ist das Erschaudern meiner Haut, das Kribbeln in meinen Beinen, das Kitzeln meiner Lust, meine Vibrationen, Strömungen und Atmungen. Diese Lebendigkeit wirkt hier, dort drüben, dort hinten, woanders; wer wüsste schon, wo überall." (Lust an Liebe, S. 35/36)
Emotion, Gefühl und Bewusstsein sind auf Repräsentationen des Organismus angewiesen, schreibt Briegleb mit Antonio Damasio. Wir erfahren, erinnern, verarbeiten, wandeln. Je stärker wir Atmosphären und Gefühle körperlich zulassen und ausbreiten können, desto größer wird unser seelischer Raum. Das romantische Ideal der Liebe lebt ein großes Stück weit von einer verklärenden Überhöhung des Anderen und der Auflösung in ihm, also mehr durch den Wunsch nach Ausgleichung eines vermeintlichen sexuellen Mangels, bzw. der sehnsuchtsvollen Zurückgewinnung unserer verloren geglaubten, sprichwörtlich 'besseren Hälfte' durch Liebespartner oder Partnerin.
Nicht nur die Erfüllung egoistischer Lüste ist das Ziel der in der Welt suchenden Seele, sondern die bewusste, geklärte Hinwendung zum Anderen und die Eroberung eines gemeinsamen Gefühlsraumes, in der auch körperlichen Bezogenheit leben kann, öffnet den Raum für die Liebe, die sich in der gemeinsamen Lust erfüllt. Die körperliche Nähe lebt von der Spannung, führt Briegleb aus, die sich aus der intimen Anwesenheit und gleichzeitigen Andersartigkeit des Anderen ergibt. Deswegen sei der körperlichen Nähe immer auch eine Ferne, etwas Unerreichbares, eingeschrieben.
Gemeinsames gebiert eine dritte Seele
Ohne die knisterne Spannung der körperlichen Nähe entstehen keine Zwischenräume, in denen sich unsere Gefühlsräume zu einer "dritten Seele", einem Gemeinsamen, synthetisieren, vermengen können und sich Eros entfaltet. Aus diesem "Einander angehören" bedingt sich eine Nähe zu sich selbst, aus der heraus sich wiederum Reflektion und Austausch speisen. Paarliebe lebt vom Reiz der Selbstbestätigung durch das Zusammensein mit einem geliebten Menschen und von der Dialektik wechselseitiger Anerkennung. Entgegen eines erobern und besetzen wollenden Leidenschaftsideals, wie es noch in den Dramen der Romantik wütet, das höchstens eine Erfüllung egoistischer Triebwünsche oder sexueller Machtansprüche ersehnt, bringt uns die aufgeklärte Liebe aktiv und bewusst in Anerkennung, Bewegung und wechselseitige Resonanz für die leisen, weichen, zarten Erotismen eines, immer auch über die Empfindsamkeit, Sinnlichkeit der Körper gestalteten Miteinanders.
Der Eros ist eine Sphäre der Gemeinsamkeit, ein psycho-sozialer Erlebnisraum, der eben keinen 'kleinen Tod' erstrebt, wie das lediglich auf einen Orgasmus fixierte Triebziel. Eros ist keine Verwandlung in ein Nichts hinein, kein Auflösen in ein Nirwana, sondern ahnendes Tasten, Erforschen, ein experimentelles Abstandnehmen vielleicht auch von der Sogkraft einer Sexualität, der bei näherer Betrachtung viel Unschönes, Gewalttätiges, Automatisches und Zwanghaftes anhaftet, mahnt Briegleb, um demgegenüber aufzurufen zu:
"(Einem) Kontaktsuchen zur Liebe und ihrer Schönheit über die Intensivierung des Nähefeldes, das wir bewohnen. Ausweitung des romantischen Moments, Erhebung der Lust, Steigerung ihrer Wirkungen. Weniger weisheitsloser Körper, weniger körperlose Weisheit." (Lust an Liebe, S. 95)
Daniel Briegleb, geboren 1964, Studien der Rhythmik, Philosophie und Soziologie, lebt und arbeitet als Pädagoge, Musiker und Autor in Hamburg.
"Lust an Liebe" - Ein Essay von Daniel Briegleb,
erschienen im Mai 2014 im Passagen Verlag Wien / Reihe Philosophie,
ISBN 9783709201084, 104 Seiten, ca. Euro 11,90.
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