Sexismus-Skandal um eine Busenschnecke in Hannover

16.03.2018 18:11

Dr. Günter Haese - Die Busenschnecke Dori

Die aktuelle Sexismus-Debatte, seit der #metoo-Kampagne gegen sexuelle Belästigung von Frauen in der amerikanischen Filmindustrie, sprich in Hollywood, sorgt für viel sozialen Zündstoff, und treibt nun auch in Hannover fast kuriose Stilblüten aus. Pünktlich zum diesjährigen Coitus Interruptus der, durch erneuten Schneefall jäh wieder zerstörten ersten, sich zart entfaltenen Frühlingsgefühle bei den eher stoischen Niedersachsen, geht ein streitbarer Briefwechsel im Internet viral, den sich zwei hannoversche Würdenträger aus Politik und Wirtschaft zum Thema 'Sexismus' gerade liefern. Eine gute Gelegenheit, dass Galerie Liebreiz sich endlich auch einmal dem für manche leidigen, für andere durchaus amüsanten Thema widmet, zumal es auch in Bezug auf die erotische Kunst so hohe Wellen schlägt.

 

Einer der Kontrahenten Hauke Jagau, 56-jähriger Regionspräsident in Hannover, hatte am Weltfrauentag, dem 8. März, öffentlich die „Busenschnecke Dori“, eine Werbefigur des in Hannover ansässigen Wohnungsbauunternehmens "Gartenheim" kritisiert und an ihr "Rollen- und Klischeebilder längst vergangener Tage" angeprangert. Dies geschah während einer Veranstaltung des niedersächsischen Sozial-Ministeriums unter dem Motto „Städte gegen Sexismus“. Das Team Gleichstellung der Region hannover schloß sich der Kritik an und forderte eine Entfernung der Figur aus der Öffentlichkeit. Die pressewirksam veröffentlichte Replik des Urhebers und Erfinders der monierten "sexistischen Werbefigur", des Vorstandsvorsitzenden der Genossenschaft, Dr. Günter Haese, ließ nicht lange auf sich warten.

Mit großer Heiterkeit

In der Pressemitteilung schreibt er: "Mit großer Heiterkeit haben wir Ihre Ausführungen zur Kenntnis genommen. Nachdem sich bei uns im Hause die ersten Lachkrämpfe gelegt hatten, empfinde ich es schon nahezu als Glücksfall, von einer hochrangigen Person der Öffentlichkeit, die sogar das Amt des Regionspräsidenten bekleidet, zu einem solchen Thema überhaupt offiziell angesprochen zu werden. Da Ihnen das Ganze anscheindend so dringlich erscheint, dass Sie sogar gegenüber der Presse bereits kritische Äußerungen getätigt haben, geben Sie mir dadurch den einmaligen Anlass, mich an Ihnen exemplarisch abarbeiten zu können."

Auf diese, im milden, ironischen Sprachgebrauch abgefasste Ansprache folgt dann eine ausführliche Erläuterung zu den Hintergründen der inkriminierten Werbefigur, der "Busenschnecke Dori". Die Busenschnecke ist eine seit 2013 eingetragene Wort- und Bildmarke. Im Jahre 2015 bekam Haeses Busenschnecke einen der größten  Werbemittelpreise Europas, den Promotional Gift Award in Köln verliehen. Seit 2013 ziert die üppige, kurvenreiche Werbefigur 15 Busheckflächen und 2 Straßenbahnwagons des örtlichen Verkehrsunternehmens. Insgesamt seien bis heute, erklärt Haese, 40.000 Exemplare der Figur in der Größe 7,5 cm verkauft worden. Er wisse nicht, ob die SPD in Hannover, welcher der Regionspräsident angehört, mehr Mitglieder habe. Darüber hinaus sei die Busenschnecke ein überaus beliebtes Symbol für Heiterkeit und Witz - und das bei Männern und Frauen gleichermaßen.

 

Marketing-Erfolgsgeschichte

Die Busenschnecke Dori ist objektiv eine Marketing-Erfolgsgeschichte, so der Bauunternehmer weiter, der schon mit weiteren Werbefiguren, wie zwei kopulierenden Schafen, und dem Slogan "Wir machen glückliche Mieter" für Aufsehen sorgte. Gerade würde mit Begeisterung an der Zentralfachschule für Süßwarenwirschaft in Solingen an einer Schokoladenbusenschnecke mit Cremefüllung gefeilt. "In diesem Land gibt es angeblich Kunstfreiheit", beschließt Dr. Günter Haese seine eloquenten Erläuterungen um die Werbefigur, die mit ihren ausgeprägten weiblichen Formen auch ein wenig an die Figuren der Niki de St. Phalle erinnert, welche in Hannover zu den berühmtesten, städtischen Werbefiguren gehören. Ansonsten erinnert die Busenschnecke auch ein wenig an die üppige, bis zu 40.000 Jahren alte Fruchtbarkeitsstatuette "Venus vom Hohle Fels", die in Sachsen gefunden wurde, und deren Abbildung auf einem Profil bei facebook kürzlich ebenfalls der gegenüber weiblichen Formen praktizierten Bildzensur zum Opfer fiel.

Haese schließt: "Die Busenschnecke ist ein Tier mit ausgeprägten Formen, in der Designbranche würde man sagen: "Form Follows Function". Ich kenne kein Kind, welches beim Anblick der Busenschnecke nicht spontan lacht und sich nicht hingezogen fühlt. Das Problem scheint erst mit fortschreitendem Alter anzufangen. Die Angst, zu erkennen, dass man üblicherweise einem Geschlecht angehört und damit auch im Einklang mit seinen Mitmenschen umgehen kann, wird durch solche Diskussionen unnütz (oder absichtlich) befeuert. (...) Mit dem erbarmungslosen Knüppel einer seltsamen politischen Korrektheit versuchen Sie das Land von vermeintlichen "sexistischen" Unebenheiten zu bereinigen. Humor ist in erster Linie auch Freiheit und genau die scheint Ihnen nicht ins Konzept zu passen."

 

Sexismus-Vorwurf vs. Künstlerischer Freiheit

Die Sexismus-Debatte wird sicherlich durch die pointierte Erwiderung Haeses nicht vom Tisch geräumt sein. Im Gegenteil steht zu befürchten, dass die Ironie und Kreativität der zur Disposition stehenden Marketingmaßnahme die Furien des Frauenrechts zu noch mehr Hasskampagnen gegen als anstößig empfundene, sexistische Symbole in Kunst, Kultur und Alltag anstacheln wird. Dass Symbole kulturelle Meme sind, die als Metapher immer mindestens zwei (widersprüchliche) Bedeutungen in sich tragen, und somit geradezu ein Ausdruck von Ganzheit und Dialektik sind. Dass eine symbolische Handlung, und damit meine ich ein Synthetisieren von Widersprüchen, sich als alchemistische Lösung von Problemen eher empfiehlt, als ein Verbot von kausal und einseitig vermuteten (Verführungs)Anzeichen, wird leider immer wieder vergessen. Wir Menschen sind im Zusammenleben eben nicht einseitig, kognitiv gesteuerte Pawlowsche Hunde, sondern eben immer aufs neue kreativ in der Auflösung ewiger Widersprüche und Unbotmäßigkeiten.

Denn am schlimmsten scheint in den gesellschaftlichen Kreisen, die sich zur Zeit als fortschrittlich wähnen (und die Andere des "ewig gestrigen" zeihen), das Aushalten von Realitäten, die das eigene dualistische Weltbild in Frage stellen, in diesem Falle bestehend aus Mann=Täter, Frau=Opfer, Busen=Sexismus, Kopulation=Tabu. Dass Brüste auch als Symbol der Fruchtbarkeit und der Geborgenheit gut funktionieren, hat die Werbung längst erkannt. Da geht es aber gar nicht um "Sexismus", das heißt um eine Abwertung oder Funktionalisierung einer Person aufgrund ihrer Geschlechtsmerkmale. Erstmal geht es um nicht mehr als den Hingucker. Und da sind der Galerie Liebreiz pralle Brüste und wohlige, weibliche Formen allemal lieber als Schockbilder auf Zigarettenschachteln (die komischerweise nicht das sittliche Empfinden von Menschen zu stören scheinen) oder Opferbilder aus wegen wirtschaftlichen Erwägungen geführten, angeblich unvermeidlichen, alternativlosen Kriegen gegen eine Zivilbevölkerung.

Hier finden Sie die vollständige Pressemitteilung von Dr. Günter Haese zu dem Vorfall um die Busenschnecke.

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