Das befruchtete Ei als Person
19.11.2012 22:49
(Die abgeschlagenen Köpfe - die Zentren der Lust und Sinnlichkeit, nicht etwa die Gliedmaßen und Genitalien - liegen jetzt überall herum und stammeln bedeutungsloses, narzisstisches Zeug. Sie fühlen sich alleine gelassen, von ihren Körpern entfremdet, hadern mit ihrer Emotionalität und Erfahrung, die Köpfe. Sie ahnen nichts von Eroberung und Hingabe, vom Geben und Nehmen der Liebe, sondern verwechseln ihren Charakter, Vertrauen und Intimität, mit Unterwerfung und Anonymität, dem Rollenspiel.)
Gefährdungen für Ungeborene
Die stockkonservative Personhood-Bewegung gegen Abtreibungen und Sex vor der Ehe will den US-Bürgern wieder Gottesfürchtigkeit und Lustlosigkeit verordnen und versucht in verschiedenen Bundesstaaten grotesk anmutende Gesetze zu installieren. Getrieben von sozialkonservativen Christen zieht die Republikanische Partei in amerikanischen Bundesstaaten in die Schlacht gegen die vermeintlich sexuelle Libertinage sowie die seit 1973 durch ein höchstrichterliches Urteil verbriefte Abtreibungsfreiheit. Indem sie einem befruchteten Ei den rechtlichen Status einer Person zuzuweisen versucht, versucht die sogenannte Personhood-Bewegung Abtreibungen als Mord an ungeborenem Leben zu kriminalisieren.
Im Südstaat Alabama ermöglicht ein Gesetz über die «chemische Gefährdung» von Kindern und Ungeborenen zudem die Inhaftierung von Frauen, deren Babys wegen ihres Drogenkonsums während der Schwangerschaft krank geboren wurden oder starben. So verurteilte ein Gericht in dem konservativen Staat die 32-jährige Amanda Kimbrough zu zehn Jahren Haft, nachdem ihr Frühchen kurz nach der Geburt gestorben war und ein Test Spuren von Methamphetamin ergeben hatte.
Sexuelle Abstinenz als Ziel der Sexualkunde
Im Staat Oklahoma scheiterte ein Personhood-Gesetz vor den Wahlen am obersten Staatsgericht: Zwar hatte eine entsprechende Vorlage den Staatssenat bereits passiert, das Gericht aber erkannte, dass das Gesetz mit der Abtreibungsfreiheit unvereinbar und deshalb rechtswidrig sei. In mehreren anderen US-Staaten sind derzeit Bestrebungen im Gang, ein befruchtetes Ei zur Person zu erklären. In Virginia scheiterten republikanische Abtreibungsgegner im März nur knapp mit einem Gesetz, wonach sich Frauen vor einer Abtreibung einer vaginalen Ultraschalluntersuchung hätten unterziehen müssen. Nach einem Aufschrei von Frauenverbänden und Demokraten knickte der republikanische Gouverneur des Staates ein und verwarf das Gesetz.
In Tennessee verabschiedete das Staatsparlament unterdessen in der letzten Woche ein Gesetz, das sexuelle Abstinenz in den Mittelpunkt der Sexualkunde an Schulen stellt und es Eltern erlaubt, gegen einen Lehrer zu klagen, wenn dieser «die Tür zu sexueller Aktivität» öffnet. Als Türöffnung gilt dem neuen Gesetz zufolge jeder «sexuelle Kontakt, der ein Individuum zu nicht-abstinentem Verhalten ermutigt». Da die Duldung derartiger «Kontakte» gleichfalls verboten ist, macht sich in Tennessee womöglich strafbar, wer als Lehrer einen Kuss oder das Händchenhalten von Schülern übersieht. Beides könnte als «Türöffnung» zu verbotener sexueller Aktivität gedeutet werden.
Homosexualität ist in Klassenzimmern tabu
Bereits zuvor hatte der Senat Tennessees eine Vorlage verabschiedet, laut der in Elementar- und Mittelschulen in den Lehrbüchern sowie im Unterricht nur Heterosexualität diskutiert werden darf. Nach starker Opposition wurde die Vorlage zurückgezogen, ehe sie der zweiten Kammer des Staatsparlaments zur Verabschiedung zugestellt werden konnte. Im Staat Wisconsin unterschrieb der republikanische Gouverneur Scott Walker hingegen ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz, das die Behandlung von Empfängnisverhütung und Pubertät im Rahmen des Sexualkundeunterrichts nicht mehr zwingend vorschreibt und sexuelle Abstinenz empfiehlt.
Ein gleichartiges Gesetz im Staat Utah verbot jegliche Behandlung von Empfängnisverhütung und vorehelichem Sex sowie «den Feinheiten des Geschlechtsverkehrs, der sexuellen Stimulierung oder des erotischen Verhaltens» im Unterricht. Das wurde jedoch vom Gouverneur des Staats mit einem Veto belegt. In anderen US-Staaten sind ähnliche Vorlagen in den Parlamenten anhängig. Diese neue Prüderie und moralische Bevormundung, die in den Südstaaten zu grassieren scheint, schafft durch ihre Verbots- und Verdrängungsabsicht gerade bei Jugendlichen neue Blockaden und Zwänge, schafft mithin Aggressionsstaus und liefert Pubertierende und Heranwachsende der Hexenjagd durch Moralapostel und Tugendwächter aus.
Porno vs. Sexuelle Befreiung vs. Selbstbestimmung vs. Tabu
Der ohnehin krasse Widerspruch zwischen der materialistischen Verwertung der Sexualität durch Porno und ihrer idealistischen Verklärung als Vehikel von Aufklärung und Befreiung, der die US-amerikanische Kulturgeschichte der letzten fünfzig Jahre prägte, wird nun durch die fundamentalistischen Restaurationsbestrebungen konterkariert, welche die Sexualität gerne rückführen möchten, wieder unter die Obhut von Gott, Gemeinde und Familie. Wem gehört eigentlich die Sexualität und die Fortpflanzung des Menschen wirklich? Dem Ei oder dem Samen?
Keinesfalls sind solche irrationalen, religiös-konservativen Missionen jedoch geschuldet der Selbstbestimmmung und Mündigkeit einer Person, worauf doch die ganze Konstitution einer Person als Rechtsubjekt zielen sollte. Am Ende will das befruchtete Ei selbst gar keine Rechtsperson sein, schließlich könnten daran ja später diverse (Steuer- oder Heirats)Verpflichtungen verknüpft sein.