Bacchus und die Erotik der Kunst in Italien

20.07.2014 23:45

Michelangelo - Bacchus 1496/97

Die Erotik der abendländischen Kunst trieb nach ihrer Blütezeit im griechischen Altertum, und den Zeiten der (nicht nur) spät-römischen Dekadenz, erneut verschämte, zarte und blasse Blüten bei der Darstellung sinnlicher und erotischer Körperdarstellungen aus. Nach Jahrhunderten finstersten Mittelalters, mit Kreuzzügen, Pest und Inquisitin, erwacht dann im späten Mittelalter, so ungefähr ab dem 15. Jahrhundert in Italien, nach Dogma, Hunger, Entbehrung und Leid nun endlich wieder die Morgensonne der Liebeskunst und Lebenslust. Wen wundert's, dass der Zusammenhang von Kunst und Erotik bei den Nachfahren der Etrusker und bekennenden Eros-Spezialisten, wie die in Pompeiji ausgegrabenen Fresken mit ihren lüsternen und orgiastischen Bildinhalten eindrucksvoll zeigen, auch analytisch und wissenschaftlich immer mal wieder angemessen (oder profan) gewürdigt wird. Amore macht wieder Furore!

 

 

 

Seit 1989 kennen wir den Zusammenhang von Kunst und Liebestaumel durch das "Stendhal-Syndrom", von der Psychologin Graziella Magherini erstmals beschrieben. Aber kein Grund zur Besorgnis. Zwar fallen immer mal wieder Kunstbegeisterte in Florenz - Ausländer zumeist, aber keine Japaner - der geballten Schönheit dieser Stadt zum Opfer. Es geht ihnen wie dem alten Romancier nach seiner Besichtigung von Santa Croce: Schwere Schwindelanfälle, Verlust des Orientierungssinnes, gar Identitätsstörungen könnten dementsprechend Sie dann auch plagen. Sehr unerfreuliche Symptome möglicherweise für einige von Ihnen, die jedoch alsbald vorüber gehen, seien Sie getrost und einer Erregung weichen, die auch als sinnlich und erotisch beschrieben werden kann.

 

Rubens-Syndrom

Jüngst belegte eine weitere Studie aus Italien, dass Kunst scheinbar viel bewirken kann für zwischenmenschliche Beziehungen im allgemeinen. Im Besonderen durchaus bei der Anbahnung von Liebesaffairen oder bei sexuellen Kontakten - von den Kulturwissenschaften flugs zum "Rubens-Syndrom" erklärt. 2000 Museumsbesucher wurden von einem römischen Institut befragt, und sage und schreibe 20 Prozent von ihnen hatten schon einmal ein "erotisches Abenteuer" im Banne der Meisterwerke angeknüpft.

Damit liegen die Museen in der Rangliste erregender Orte vor den Nachtklubs (18 Prozent) und werden nur von Stränden (43 Prozent) und Zügen (22 Prozent) übertroffen. Am stärksten knistert es der Erhebung zufolge im Palazzo Doria in Genua, gefolgt von der Brera in Mailand und der Turiner Galerie für moderne und zeitgenössische Kunst. Griechische Skulpturen und Werke von Michelangelo oder Caravaggio sind stimulierender als Werke von Tizian, Tiepolo oder Veronese. Abstraktion und Formalismus haben - wir haben es schon geahnt - kaum Sex-Appeal.

 

Venus von Botticelli - erstes Pin-Up abendländischer Kultur

Wahrscheinlich hatten Künstler spätestens seit dem Mittelalter begriffen, dass nackte, attraktive Frauenkörper sich ausgeprochen positiv auf den Verkauf ihrer Kunstwerken auswirkten. Das grundlegende Problem dabei war damals allerdings, dass die Abbildung nackter Körper strikt untersagt war. Die einzige Ausnahme war die Illustration religiöser und mythologischer Geschichten, wodurch Eva, Maria, Venus und Juno dann wahrscheinlich zu den ersten 'Pin-ups' der abendländischen Kunstgeschichte avancierten, von denen die Venus von Botticelli die wohl allerbekannteste darstellt.

An der großen Beliebheit nackter Frauenkörper und der damit zusammenhängenden Themenauswahl der Künstler änderte sich über mehr als dreihundert Jahre nur sehr wenig. Vor allen Dingen lernten die Künstler ihre "Objekte" immer besser zu positionieren und noch natürlicher darzustellen. Während bei den Griechen und Römern des Altertums fast ausschließlich Männer nackt dargestellt wurden, Frauen dagegen vorwiegend bekleidet, würde mensch heutzutage die zunehmende Anzahl weiblicher Aktdarstellungen in der religiösen und mythologischen Malerei seit dem Mittelalter vielleicht als Gechlechterrollenklischee kritisieren, welches den Mann weiterhin in seiner Rolle als Heros, eines starken, tugendhaften und abenteuerlustigen Eros, fixiere.

 

Die Rolle der Männer als 'Akteure' in der erotischen Kunst war jetzt weniger drängend und stürmisch, obschon es natürlich den patriarchalen Sturm und Drang weiterhin gab, sondern das männliche Körperbild wurde immer mehr zum Prototypen der Anatomie, zum Souverän seiner Erscheinung, dessen Unachtsamkeit und sexuelle Verblendung ihn jedoch jederzeit und plötzlich seine Mannbarkeit und sein Leben kosten kann - vergleiche die bei den damaligen Künstlern so beliebte erotische Eskapade zwischen Judith und Holfernes. Die bekannteste Körper- und Aktkunst des späten Mittelalters und der Renaissance schufen sicherlich Leonardo da Vinci (der Schöpfer der Mona Lisa) mit seinen Anatomiestudien sowie Michelangelo, beispielhaft mit seiner David-Skulptur in Florenz, welche nur die exponiertesten von vielen weiteren kongenialen, italienischen Künstlern waren, die in ihrer Erinnerung an das Kunstideal der Antike, einer Art frühen Klassizismus und seiner Lehre vom Schönen und Erhabenen, den Eros zurück in die Haine und Weihen der Kunst verbrachten, so dass es möglicherweise sogar dem Papst und dem Klerus irgendwie bei der Sublimierung ihrer, wennzwar verleugneten, so doch durchaus vorhandenen weltlichen Gelüste behilflich gewesen sein mochte.

 

Bacchus-Syndrom

Nicht originär italienisch, jedoch auch dort zum ewigen Kunstwerk geronnen ist das Bacchus-Syndrom, was den Zusammenhang zwischen Kunst und Rausch einerseits und das Ringen des Künstlers um Authentizität, Anerkennung und Ausdruckskraft andererseits beschreiben soll. Exemplarisch dafür steht Michelangelos „Bacchus“, den der junge Künstler 1496/97 in Rom für den Kardinal Raffaele Riario schuf. Diese Skulptur könnte man durchaus als „Kopie“ bezeichnen, weil sie nicht echt ist in dem Sinne, dass es kein wirklich antikes Artefakt war, sondern bewusst nach einem antiken Vorbild von Michelangelo nachgebildet und, doch neu und individuell modifiziert, angefertigt wurde.

Erstmals in der Geschichte der neuzeitlichen Kunst schuf ein noch nicht etablierter Bildhauer (Michelangelo war damals 22 Jahre alt!) eine allansichtige, etwas überlebensgroße und damit für damalige Verhältnisse monumentale Marmorfigur mit dieser antiken Referenz. Kennzeichen einer antiken Skulptur ist auch ein solider Kontrapost, d. h. die sorgfältige Balance einer Figur mit Stand- und Spielbein. Michelangelos „Bacchus“ hat seine Standfestigkeit allerdings ziemlich eingebüßt: Seine Trunkenheit und sein unsicherer Gang kommen sowohl in der instabilen Stellung der Beine als auch im Neigungswinkel von Oberkörper und Kopf zum Ausdruck. 

 

Perspektiven, Proportionen und Positionen des Körpers

Michelangelo ließ hierbei antike Bildhauer wie Praxiteles oder Lysipp wiederauferstehen, die vergleichbare Werke geschaffen hatten. Er ahmte das antike Kunstideal dabei aber nicht nur nach – er ironisierte es auch, hier mit dem lasziv-neckischen Ausdruck des Weingottes und des ihn stützendes Satyrs. Kardinal Riario hatte 1496 einen von Michelangelo geschaffenen, heute verschollenen, schlafenden Cupido als vermeintlich originale, antike Skulptur gekauft – die Täuchung jedoch bald bemerkt. Das löste bei dem einflussreichen Würdenträger jedoch keine Empörung, sondern eher Bewunderung aus, sonst hätte er den Bildhauer daraufhin wohl nicht mit dem „Bacchus“ beauftragt.

Lange vor Casanova und der Blütezeit der erotischen Literatur wurde die kunstwissenschaftliche Etablierung der erotischen Kunst in Italien durch einige der reichsten Familien und regionalen Hofstaaten gefördert. Die erste Akademie für Akt- und Körpermalerei, die Accademia delle Arti del Disegno, wurde 1563 in Florenz auf Anraten des berühmten Kulturphilosophen Giorgio Vasari gegründet und konzentrierte sich, ganz im Sinne der Studien Leonardo da Vincis, auf die künstlerische Erforschung von Perspektiven und Proportionen des Körpers. Weitere entsprechende Kunstakademien entstanden dann später in Rom (Accademia di San Luca, 1577) und in Bologna (Accademia degli Incamminati, 1583).

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